Der Pionier

Der Pionier
Anhand von drei Platten veranschaulicht Professor Dr. Paul Wilmes einen recht komplexen Vorgang. Seine Maschine findet weltweit Beachtung.

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Paul Wilmes ist Ökologe. In dieser Eigenschaft erforscht er die Verbindung zwischen den Mikroben in der Darmflora und bestimmten Krankheiten. Basierend auf seinen Arbeiten entstand ein Modell, das die Darmtätigkeit künstlich simuliert. So können die Lebensmittel- und die Pharmaindustrie ihre eigenen Arbeiten unbeschadet testen. Das vor sechs Jahren entwickelte „HuMiX-Modell“ hat mittlerweile Weltniveau erreicht.

Es sieht aus wie ein ganz normales Küchengerät, ist nicht viel größer als ein gängiger Kühlschrank. Auf den Türen leuchten digitale Zahlen auf. Rundherum ist nichts, was brodelt, sprudelt, verdampft oder gefriert, wie man das in einem Forschungslabor erwarten könnte.

Genauso einfach, wie es aussieht, erklärt auch Paul Wilmes das Verfahren, das hinter den Schranktüren stattfindet. Dafür benutzt er drei rote Platten: Auf der ersten sind die Bakterien angesiedelt, deren Auswirkungen auf den Menschen erforscht wird. Auf der zweiten befinden sich menschliche Epithelzellen. Hinter dieser Bezeichnung versteckt sich eine der vier Grundgewebearten des menschlichen Körpers, die alle inneren und äußeren Körperoberflächen bedeckt. Auf der dritten Platte werden Immunzellen gezüchtet, die unterschiedlich auf die Bakterien reagieren.

Bedeutsame Fortschritte in der Erforschung des Mikroben

Ganz so einfach sind die komplexen biologischen Zusammenhänge natürlich nicht, sie lassen sich so jedoch plakativ darstellen und erklären die Forschungsarbeiten des zwanzigköpfigen Teams rund um Professor Dr. Paul Wilmes.

„Wir haben in den letzten zehn Jahren bedeutsame Fortschritte in der Erforschung des Mikrobioms, also der Gemeinschaft der Mikroorganismen, die den menschlichen Körper besiedeln, gemacht“, sagt der junge Forscher, der neben seiner Maschine auch eine Reihe von Patenten registriert hat. „Wir erforschen chronische Krankheiten und studieren mögliche Verschiebungen des Immunsystems, die durch das Mikrobiom entstehen können“, veranschaulicht er seine Arbeit. Sie wird von der Lebensmittelindustrie genutzt, um möglichst gesunde Nahrungsmittel zu vermarkten, und die Pharmaindustrie testet damit die Auswirkungen gewisser Medikamente auf die Darmtätigkeit.

Aus einer einzigen Stuhlprobe lasse sich bei rund 1.500 unterschiedlichen Mikroorganismen unendlich viel herauslesen, erklärt Wilmes und spricht über unterschiedliche Reaktionen im Mikrobiom bei Krebs, bei Parkinson oder bei Diabetes.

Schrittweiser Aufbau

„Dennoch wissen wir noch nicht sehr viel über den mikro-molekularen Austausch“, meint der Wissenschaftler und verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Arbeiten des französisch-luxemburgischen Nobelpreisträgers Jules Hoffmann in diesem ganz speziellen Bereich. „Hier ist noch viel weitere Forschungsarbeit notwendig“, unterstreicht er weiter. Dabei hat das Luxemburger „Centre for Systems Biomedicine“ in knapp zehn Jahren auf diesem Gebiet bereits sehr viel getan.

An diesem Erfolg beteiligt ist auch der Luxemburger Paul Wilmes. Nach seinem Sekundarstudium in Echternach hatte es den Biologen lange Zeit ins Ausland verschlagen, zuerst nach Großbritannien, wo er im schottischen Glasgow Umweltwissenschaften studierte und nachher auch in England seine Doktorarbeit schrieb. Nach einem sechsmonatigen Lehrgang am Max-Planck-Institut in Bremen ging es dann in die USA, an die kalifornische Berkeley-Universität, immer noch mit dem Schwerpunkt Umweltwissenschaften.

„Die USA sind Europa auf diesem Gebiet meilenweit voraus“, erklärt Wilmes, der dort die Ökologie der Mikroorganismen in Kläranlagen und in unterirdischen Minen erforschte. Dabei kam es jedoch zu einer ersten Kontaktaufnahme mit der Biomedizin. „Die Vorgehensweise in Bezug auf die Biologie dieser Systeme ist immer ähnlich. Es geht darum, herauszufinden, wie die Mikroorganismen untereinander und mit ihrer Umwelt interagieren“, stellt Wilmes klar.

Amerika, Antarktis und dann Luxemburg

Er forschte gerade in der Antarktis, als ihn der Luxemburger Konsul in San Francisco auf seine Forschungsarbeiten in Kalifornien ansprach und zu einer Kontaktaufnahme mit der noch ganz jungen Luxemburger Forschungslandschaft aufforderte.

Wilmes hatte gerade geheiratet und wollte eigentlich in Amerika Karriere machen. Das Angebot aus Luxemburg kam jedoch mitten in der Finanzkrise von 2008, die für die sehr stark mit der Industrie verbundene amerikanische Forschung nicht ganz unbedenklich war. Der Vorschlag, sich um die vom Luxemburger Forschungsfonds FNR an vielversprechende Wissenschaftler verliehene Attract-Börse zu bewerben, war daraufhin durchaus verlockend.

„Ich bekam den Auftrag, eine Forschergruppe aufzubauen, die sich mit der Entwicklung der Bakterien in den Kläranlagen beschäftigen sollte“, vereinfacht Wilmes seinen ersten Auftrag in Luxemburg.

Knapp anderthalb Jahre lang war er damit dem Forschungszentrum Gabriel Lipmann zugeordnet, dann kam er mit seiner kleinen Gruppe zum neu gegründeten „Luxembourg Centre for Systems Biomedicine“. Mit dieser Forschungseinheit ist Wilmes über den rein ökologischen Bereich herausgewachsen. Heute arbeitet er auch mit Medizinern zusammen an der Erforschung von Neugeborenen, der Parkinson-Krankheit oder den Auswirkungen von Rückenmark-Verpflanzungen.

Modernes Management

Hier teilt Wilmes mittlerweile seine Zeit zwischen dem Management seines auf 20 Mitglieder angewachsenen Forschungsteams, dem Unterricht, der Betreuung von insgesamt sieben Doktoranden und den in der Wissenschaft unerlässlichen internationalen Kontakten. So macht er nicht nur die Arbeiten seines Labors bekannt, sondern sucht über diesen Weg auch nach Aufträgen und Geldquellen.

Die internationale Vorstellung des „HuMiX-Modells“, an dem seit sechs Jahren gearbeitet wird, hat natürlich das Augenmerk auf Luxemburgs Arbeiten gezogen. Sie sind einzigartig in der Welt, weil sie ein künstliches System schaffen, das genau so funktioniert wie der menschliche Darm. Weil kein Lebewesen in Mitleidenschaft gezogen wird, können die Forscher frei experimentieren. Die Forschung hatte bis dahin an Mäusen gearbeitet. Diese ernähren sich jedoch ganz anders als der Mensch, folglich ist ihr Verdauungssystem demnach weit entfernt von dem des Menschen, was den Vergleich bis dahin nicht zufriedenstellend machte.

Diskret blickt der Wissenschaftler auf die Uhr. Gleich nach unserem Interview ist noch ein Treffen mit seinem Team anberaumt, und danach sind familiäre Pflichten angesagt. Paul Wilmes hat zurzeit Elternurlaub und ist deshalb nicht an der Uni anzutreffen. Auf die erstaunte Frage, wie eine mehrmonatige berufliche Pause mit der eben geschilderten wissenschaftlichen Spitzenforschung vereinbar ist, hat er wiederum eine sehr einfache Antwort. „Meine Rückkehr nach Luxemburg war beruflich eine große Herausforderung, die häufig mit einem 16- bis 18-stündigen Arbeitstag einherging und mit vielen Reisen verbunden war. Wir haben innerhalb von knapp acht Jahren unsere Forschungseinheit von Grund auf aufgebaut. Dass wir damit inzwischen Weltniveau erreicht haben, war ohne persönliche Opfer nicht möglich.“

In Luxemburg sei seine Entscheidung mitunter mit einem gewissen Befremden aufgenommen worden. Dabei sei es in internationalen Wissenschaftlerkreisen nicht selten, dass man ein „sabbatical year“ nehme und sich somit eine gewisse Auszeit gönne, um sich zu regenerieren. In den USA, wo Wilmes seine ersten Erfahrungen sammelte, werde die Elternzeit sogar der Karriere gutgeschrieben. „Mir war es außerdem wichtig, die kostbare Kinderzeit meiner beiden Kleinen nicht vollends zu verpassen.“