Den idealen Wohnraum gibt es nicht

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Mehr als 60 Aussteller erwarten die Besucher zur diesjährigen Wohnungswoche,die am Freitag in Luxemburg offiziell ihre Türen öffnete.

Claude Molinaro

270 Hektar Bauland wurden in den Jahren 2004-2007 alljährlich verbaut, was klar darauf hinweist, dass der Baumarkt wieder boomt. Laut dem zuständigen Wohnungsbauminister, Marco Schank, sei dies aber auch nicht weiter verwunderlich, verzeichnet Luxemburg doch eine in Europa einmalige Wachstumsrate: In den letzten 20 Jahren stieg die Bevölkerung um 33 Prozent. Ein weiterer Faktor, welcher das Bauen begünstige, seien die historisch tiefen Zinsen.

Die Finanz- und Wirtschaftskrise, so Schank am Freitag Nachmittag anlässlich der Eröffnung der „Semaine du logement“, habe gezeigt, dass die Einmischung der Politik auch im Wohnungsbereich notwendig sei, um das Problem von genügend bezahlbarem Wohnraum zu lösen.

Im Hinblick auf den späteren Vortrag zum Thema „Wohnen in einer Stadt“ eines deutschen Soziologen meinte Schank, man sollte vielleicht auch in Luxemburg verstärkt Soziologen in die Planung der Wohnungsbaupolitik mit einbeziehen. Der Minister wies darauf hin, dass die Regierung die „subvention d’intérêts“ aufbessern wolle; zudem sollen noch mehr Familien in den Genuss des sozialen Zinssatzes kommen.

Ein ganz besonderer Markt

Prof. Dr. Walter Siebel, Soziologe an der Universität Oldenburg, griff in seinem anschließenden Vortrag die Problematik des Wohnens in der Stadt auf und ging auf die bereits erwähnte Rolle der öffentlichen Hand im Bereich Wohnen ein. Der Wohnungsmarkt sei ein ganz besonderer Markt: Die Ware Wohnung sei nicht transportabel, daher seien Wohnungsmärkte auch stets lokale Märkte. Bei einer Wohnung handelt es sich des Weiteren um eine Ware von herausragender Bedeutung. Da die Bedürfnisse sehr verschieden seien, würde der Markt diese nur im obersten Segment befriedigen.
Semaine nationale du Logement
1.10. – 4.10.2010
Luxexpo, Luxemburg-Kirchberg
Öffnungszeiten:
Samstag/Sonntag: 10.00 – 18.00 Uhr
Montag: 14.00 – 20.00 Uhr

Seit dem 19. Jahrhundert fragen sich die politisch Verantwortlichen, was eigentlich menschenwürdiger Wohnraum sei. Die Antworten auf diese Frage hätten sich im Laufe der Zeit geändert, und es werde wohl es nie eine endgültige Antwort darauf geben. Heute spreche man z.B. von Wohnungsnot, wenn mehr als eine Person in einem Raum leben muss; vor 100 Jahren wurde eine Wohndichte von mehr als sechs Personen pro Zimmer erst als Problem angesehen. Das Problem der Wohnungsnot wird wohl bestehen bleiben, solange eine der Ursachen bestehen bleibt, und das sei der Trend zu immer mehr Wohnfläche für den Einzelnen.

Die Nachfrage geht von gut ausgebildeten Singles aus

Einige Phänomene haben seit dem Anfang des 21. Jahrhunderts das Problem verschärft: Die Nachfrage nach Wohnraum in den Kernstädten nahm wieder zu, nachdem man in den Jahrzehnten vorher eher das Gegenteil beobachten konnte. Die steigende Nachfrage geht vor allem von gut ausgebildeten Singles aus, die es verstärkt in die Stadtzentren zieht. Sozialstrukturen in den Innenstädten veränderten sich nicht dadurch, dass Minderbemittelte bestimmte Viertel bevorzugen, sondern dadurch, dass die Besserverdienenden in ein „besseres“ Viertel ziehen, sobald sie es sich leisten können.

Diese Tendenzen bergen die Gefahr der Vereinsamung der Vorstädte. Den idealen Wohnraum anzubieten, würde durch die widersprüchlichen Wünsche eines jeden Menschen erschwert. Zudem änderten sich Wohnwünsche im Laufe des Lebens.
Am prägnantesten habe es Kurt Tucholsky resümiert – „Ja, das möchste: eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße.“