Das bekannteste kleine Dorf der Welt

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Ramon Hemmer ist begeisterungsfähig. Seit vier Jahren entdeckt der Schengener Neuzugang die Gemeinde für sich und hat Großes für die 25-Jahr-Feiern des Abkommens im nächsten Jahr im Sinn. Wenn in seinem Kopf eine Idee Form annimmt, geht er vor, überzeugt und findet Mitstreiter.

SCHENGEN – Im „Kochhaus“ breitet Hemmer den Plan zu dem Spektakel unter einer Schwarzweiß-Fotografie aus. Sie zeigt den damaligen Staatssekretär Robert Goebbels, wie er als Vertreter Luxemburgs das weltbekannte Abkommen am 14. Juni 1985 unterzeichnete. Diese Gäste auf dem Schiff MS Princesse Marie- Astrid haben bei der Unterzeichnung nicht geahnt, zu welch unverhoffter Berühmtheit sie der kleinen Moselgemeinde damit verholfen haben. Seitdem ist es wohl das bekannteste Dorf der Welt.

„Schengen hat als Begriff dieselbe Bekanntheit wie Coca-Cola und Okay“, sagt Hemmer, „sogar jeder Afrikaner kennt Schengen, weil es in seinem Visum steht“. Hemmer ahnt darin touristisches Potenzial, das er als Präsident des lokalen Fremdenverkehrsvereins wecken will. „Der Wert von Schengen wurde lange Zeit unterschätzt“, sagt er. „Das Dorf besteht nicht nur aus Tankstellen“.

Sofort ist er bei den Schönheiten, die er identifiziert hat. Da sind der „Haff Réimech“ mit Badesee und der Jugendherberge Remerschen gleich nebenan, der knapp zehn Kilometer lange Wanderweg „Stromberg“ mit fantastischen Aussichten auf das Moseltal und nach Frankreich hinüber, die Mosel selbst mit der Möglichkeit, sie per Boot zu erkunden, die Weinberge, die sich ringsherum in die Höhe wellen, und die leckere Gastronomie. „Hier ist jeder Naturliebhaber richtig und vor allem geographisch strategisch günstig platziert“, sagt Hemmer, dessen Blick nicht auf der Luxemburger Seite hängen bleibt.

Sofort fällt ihm die Zitadelle im benachbarten französischen Sierck-les-Bains ein, das historische Schloss Malbrouck, das größte römische Mosaik westlich der Alpen im deutschen Perl-Borg, die römische Villa in Nennig oder der barocke „Garten ohne Grenzen“ im Perler Gelände Nell.

Region als touristische Attraktion ausbauen

Im Gespräch mit ihm klingt das Dreiländereck wie eine touristische Sehenswürdigkeit vom Range des Schwarzwalds. Genau dazu aber will der begeisterte Luxemburger die Region ausbauen. Die Organisation der Feiern und sein Amt als Präsident des Schengener Tourismusvereins übt der Familienvater ehrenamtlich aus. Der gebürtige Roedgener wohnt seit vier Jahren in der Grenzgemeinde und hat sich offensichtlich sofort in die Region verliebt. Deshalb engagiert er sich hier. Wenn er von dem, was jetzt schon für das Programm feststeht, erzählt, ist er nicht zu stoppen.

„Wir wollen hier ein großes Volksfest veranstalten“, sagt er und meint das selbstverständlich grenzüberschreitend. Alles andere hält er für Humbug und dem Anlass nicht gerecht, weswegen er alle diese Orte in die Feiern miteinbeziehen will. Die Idee hat er schon seit zwei Jahren im Kopf und jetzt gibt es auch Mitstreiter diesseits und jenseits der Grenze, die ihm bei der Umsetzung helfen.

Als Erstes hat er das Touristenbüro der deutschen Grenzgemeinde Perl und die Kollegen aus Sierck-les-Bains überzeugt und dafür gewonnen.
„Die Chemie stimmte gleich und jeder hat Ideen miteingebracht“, sagt Hemmer. Sie stimmte sogar so gut, sagt er, dass die Franzosen die Feiern am liebsten bis zur Côte d’Azur bewerben würden.

Luxemburg ist der Gastgeber bei dem zweitägigen Programm im Juli nächsten Jahres, das luxemburgische Außenministerium und die Gemeinde Schengen unterstützen finanziell und allmählich entwickelt das Ganze eine Eigendynamik. Mehr und mehr offizielle Stellen bieten Hilfe an, täglich melden Interessenten neue Programmpunkte hinzu. Bis Ostern soll das endgültige Programm stehen.

Die thematischen Schwerpunkte sind bereits verteilt. Die deutsche Seite lässt an den historischen Plätzen die römische Zeit wiederaufleben, die französische Seite lebt rund um die Zitadelle das Mittelalter und Luxemburg bleibt, was es ist, „eine traumhaft schöne Landschaft, die vom Weinbau geprägt ist“, sagt Hemmer.

Allerdings bekommt jeder an dem besagten Wochenende im Juli einen „napoleonischen Pass“ ausgestellt. Rund 50 „Zöllner“ in historischen Kostümen führen Passkontrollen durch. Ein bisschen außerhalb Schengens bauen Jugendliche ein „Hüttendorf“, in Perl entsteht ein „Kinderdorf“ mit Angeboten und auf einer Strecke von rund sieben Kilometern ist die Mosel zwischen Schengen und dem französischen Contz-les-Bains auf luxemburgischer Seite komplett gesperrt.

Entlang des Flusses werden regionale Produkte angeboten, ein „Gourmetdorf“ entsteht. Bands begleiten das Ganze musikalisch und Motorradfahrer aus allen drei Ländern sind eingeladen, ab Sierck-les-Bains durch Saarland und Rheinland Pfalz an einer Sternfahrt mitzumachen. Endpunkt ist die gemeinsame Einfahrt nach Schengen über die Moselbrücke. Hemmer rechnet mit 3.000 bis 4.000 Teilnehmern.

„Bühne auf dem Schiff“

Größter Act dürfte die „Bühne auf dem Schiff“ sein. Das Boot wird genau an der Stelle festmachen, wo seinerzeit der Vertrag unterzeichnet wurde. „Die Idee war, eine Bühne zu haben, die von allen drei Ländern aus zu sehen sein wird“, sagt Hemmer. Wen er als Künstler dorthin eingeladen hat, will er noch nicht verraten.

Schengen wird an diesen beiden Tagen vollständig gesperrt. Oldtimer-Fahrzeuge in Privatbesitz fungieren als „Taxis“ und transportieren die Gäste gegen Gebühr von A nach B. Zusammen mit den Startgebühren aus der Motorrad-Sternfahrt gehen diese Einnahmen als Spende an die Stiftung „Kräizbierg“, wo Hemmer als Leiter der Druck-Werkstatt mit Behinderten arbeitet. Die Spende ist Hemmer mindestens genauso wichtig wie der freie Eintritt für jedermann.

Er hat eine große andere Vision im Kopf: die konkrete Bedeutung von „barrierefrei“. Auch wenn seinerzeit mit dem Abkommen die Grenzbäume gefallen seien, grenzenlos mobil sei deswegen noch lange nicht jeder.