Bewertung von Gefährlichkeit und Risiken einer neuen Straffähigkeit

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Seit 1995 ist Dr. Edmond Reynaud, Psychiater, Kriminalwissenschaftler und klinischer Sexologe, Experte beim Obergerichtshof in Luxemburg. Im Rahmen der Ausstellung „Mord und Totschlag“ hielt er vorgestern Abend im hauptstädtischen Museum eine Konferenz, in der er die Rolle der Gerichtsexperten, ihre Aufgabe und ihre Arbeit beleuchtete./ Romain Durlet

Die Rolle der Gerichtsexperten und ihre Aufgabe, ein psychiatrisches Bild über Straftäter zu erstellen, ist heute nicht mehr aus dem Rechtswesen wegzudenken. Wichtig ist allemal festzuhalten, aus welcher Gesellschaftsgruppe ein Angeklagter stammt und unter welchen Bedingungen er aufwuchs und sich später bewegte. Somit wird der Experte als Grundlage erkennen, ob es sich bei der Tat um eine Affekthandlung oder aber um eine soziale Reaktion handelte.
Bei der narzisstischen Verletzbarkeit wird der Experte Zeuge des Leidens. Er wird feststellen, dass es sich beispielsweise bei der Tötung des Lebensgefährten nicht um ein Verbrechen aus Liebe, sondern aus Leidenschaft handelt. Man muss unterscheiden zwischen Bluttat und Verbrechen aufgrund von Geisteskrankheit. 95 Prozent der Geisteskranken, so Edmond Reynaud, sind keine Straftäter.

Einzelheitenüber die Psyche

Das Aufgabengebiet des Experten ist vielfältig. So muss er sich vergewissern, ob bei Beschuldigten eine psychische Krankheit vorliegt, ob die Tat aufgrund einer Anomalie begangen wurde, ob die Person gefährlich ist und in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen werden muss, ob sie zu einer Strafe zugänglich ist, ob eine Heilung möglich ist, ob psychische Störungen zu einer Tat führen können.
Der Richter erwartet also Einzelheiten über die Psyche des Angeklagten. Dabei ist u.a. auch wichtig, welches Verhalten der Beschuldigte während der Tat zeigte und welches sein Zustand bei einer späteren Untersuchung ist.
„Die Tätigkeit der Gutachter, die parallel zu einer Behandlung einer in den Händen der Justiz befindlichen Person läuft, kann sich zum Guten wie zum Schlechten entwickeln. Im schlimmsten Fall kann sie darauf hinauslaufen, dass die geistigen Störungen bestimmter Straftäter nicht mehr anerkannt werden und diese zu einer psychiatrischen Haftstrafe verurteilt würden, während der sie lange Jahre in einer Justizvollzugsanstalt verbrächten, obwohl ihr eigentlicher Platz in einem entsprechenden Krankenhaus wäre.“ So Dr. Reynaud.
Er ging schließlich auch das Thema der Glaubwürdigkeit des Experten an. Der Mediziner könne weder die Rolle des Anklägers noch die des Verteidigers spielen. Er stehe oftmals im Kreuzfeuer der Kritik. Die Expertise müsse methodisch und gut geführt werden, klar und lesbar sowie glaubhaft sein.

Teil des menschlichen Wesens

„Ein korrekt durchgeführtes Gutachten kann die Richter, die Geschädigten, die Beschuldigten, die Medien und die Öffentlichkeit nuanciert über die komplexen Elemente aufklären, die dazu geführt haben, dass ein Täter ein Verbrechen beging. Auch wenn diese noch so destruktiv sind, sind sie trotzdem ein Teil des menschlichen Wesens, oftmals auch ohne eine psychopathologische Dimension.“
Die viel beachtete Konferenz im hauptstädtischen Museum hatte besonders eine Reihe Insider aus dem Justizbereich angezogen.
Näheres über das Thema kann man in dem anlässlich der Ausstellung „Mord und Totschlag“ veröffentlichten Buch, das bereits zum zweiten Mal verlegt wurde, unter dem Kapitel „Gerichtsgutachten in Mordprozessen“ nachlesen, das von Dr. Reynaud verfasst wurde.