Bei Rot und Blau sehen manche schwarz

Bei Rot und Blau sehen manche schwarz
(Tageblatt Archiv)

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Am 5. Januar wurde am Diekircher Bezirksgericht ein Urteil gesprochen, das wohl landesweit für Diskussionsstoff sorgen wird, und dies nicht nur wegen des Urteilspruchs an sich, sondern auch wegen der rund um diesen Fall gemachten Aussagen der Juristen.

Ein Einwohner aus Walsdorf hatte die Fassade seines Hauses neu gestrichen. Er erhielt eine mündliche Genehmigung von der Gemeinde Tandel, und so begann er, seine Fassade neu zu streichen, noch bevor die schriftliche Genehmigung vorlag. Diese sollte aber ausbleiben. Die Gemeinde Tandel war der Meinung, dass der vom Hausbesitzer ausgewählte Rotton mit der Bezeichnung „Terrakotta“ nicht ihrer laut kommunalem Bautenreglement erlaubten Farbpalette entsprach. Der Hausbesitzer wurde aufgefordert, sein Terrakotta-Rot neu zu überstreichen. Dieser Aufforderung kam er jedoch nicht nach, da er die Entscheidung der Gemeinde als willkürlich („arbitraire“) abtat.

So kam es, dass die Gemeinde Tandel den Mann vor Gericht zerrte. Da schreit die „vox populi“ denn auch gleich „richtig so!“, denn was für den einen gilt, müsse auch für den anderen gelten – der besagte Hausbesitzer hätte sich an das Gemeindereglement halten müssen. An die erlaubte Farbpalette müsse man sich eben halten, ob man nun will oder nicht. Doch ist dies wirklich alles „so richtig“? Kann eine Gemeinde einzelne Farbtöne der Fassadenanstriche „erlauben“ bzw. „verweigern“.

„… un développement harmonieux“

Mal abgesehen davon, dass die Klage der Gemeinde Tandel gegen den Mann nun am vergangenen 5. Januar auch in zweiter Instanz abgewiesen wurde (siehe Bericht in unserer Ausgabe vom 6. Januar), wollten wir wissen, was es mit der Aussage des Verteidigers, Me Jean-Paul Wiltzius, auf sich hat, der während des Prozesses sagte, es gebe in puncto Genehmigung von Fassadenfarben keine gesetzliche Basis.

Wir fragten im zuständigen Innenministerium nach. Regierungsrat Fabio Ottaviani gab sofort zu verstehen, dass die Gemeindeväter wohl ein Recht haben, in ihren Bebauungsplänen mit einer von ihnen festgelegten Farbpalette die Ästhetik in ihrer Gemeinde zu regeln. So steht z.B., was den PAG („Projet d’aménagement général“, genereller Bebauungsplan) anbelangt, Folgendes geschrieben: „Lorsque les autorités communales initient des modifications de leurs projets d’aménagement, elles doivent être mues par des considérations légales d’ordre urbanistique ayant trait à l’aménagement des agglomérations et d’ordre politique tirées de l’organisation de la vie en commun sur le territoire donné, tendant les unes et les autres à une finalité d’intérêt général et, dans ce contexte, lesdites autorités doivent veiller tant à la conservation de l’esthétique urbaine qu’au développement rationnel des agglomérations.“

Weiterhin finden wir in Artikel 3 (Punkt 5) des großherzoglichen Beschlusses den PAP („Projet d’aménagement particulier“, Teilbebauungsplan) betreffend diese Zeilen: „Le plan d’aménagement particulier ‘nouveau quartier’ peut en outre désigner des zones respectivement des parties de zones où les constructions et aménagements doivent répondre, par rapport à l’esthétique, à la couleur et à l’emploi des matériaux, à des conditions déterminées afin de garantir un développement harmonieux de l’ensemble du quartier.“

„Nach wessen Ermessen?“

Liest man diese Texte etwas genauer, dann merkt man schnell, dass in der Frage um das Erlauben oder das Verweigern eines Fassadenfarbtons sehr viel Ermessensspielraum herrscht. Eigentlich können die Gemeindeväter fast nach ihrem ganz persönlichen Gutdünken schalten und walten.

So fanden wir in den Bautenreglementen zahlreicher Gemeinden die Bezeichnung „couleur criarde“ bzw. „grelle Farbe“. Alle Farben seien zugelassen, aber eben keine „grellen Farbtöne“. „Damit kann man eigentlich überhaupt nichts anfangen“, so Me Wiltzius dem Tageblatt gegenüber. „Wer entscheidet denn, ob ein Farbton nun überhaupt nicht grell, ein wenig grell oder unerlaubt grell ist. Ich selbst stufe vielleicht eine Farbe als nicht grell ein, während mein Nachbar das ganz anders sieht. So unterschiedlich sieht es auch von Gemeinde zu Gemeinde aus. Nur als Beispiel: Ein Farbton, der vielleicht in einer Nordgemeinde als grell eingestuft wird, kann in einer Südgemeinde als ‚normal‘ und damit als erlaubt angesehen werden.“

„Les goûts et les couleurs ne se discutent pas“, so der Anwalt. Er möchte nicht der Bürgermeister sein, der über „peinture criarde“ oder „peinture non-criarde“ zu entscheiden habe, geschweige denn der Richter, der im Falle eines Prozesses ein Urteil fällen müsste. Hier seien die Türen für die Willkür weit offen.

Wohl um dies zu vermeiden, haben sich einige Gemeinden dazu entschlossen, ganz genaue Farbpaletten zusammenzustellen. „So gibt es keine Diskussionen“, meinte ein Bürgermeister uns gegenüber. „Die erlaubten Farbtöne sind genau festgehalten. Der Bürger, der sein Fassade streichen möchte, kann diese Farbpalette einsehen und sich für eine Farbe entscheiden.“

Doch auch hier spricht der Jurist von vielen offenstehenden Fragen. „Wer nun annimmt, damit seien der Willkür alle Wege versperrt, der irrt. Nach wessen Ermessen wurde denn die Farbpalette zusammengestellt? Und wann geschah dies? Auf welcher legaler sprich gesetzlicher Basis werden denn einzelne Farbtöne oder Farbnuancen als nicht erlaubt eingestuft? Wer sagt denn, dass z.B. ein ganz bestimmter Blauton nicht in die eine Gegend des Landes, dafür aber in eine andere passt? Wer entschied denn z.B. im Fall der Gemeinde Tandel, dass Rot erlaubt ist, der Ableger ‚Terrakotta-Rot‘ jedoch nicht?“ Der Gesetzgeber sehe hierfür jedenfalls keine genauen Kriterien vor.