Deutsch-SerieAus dem Tagebuch eines Taugenichts (2)

Deutsch-Serie / Aus dem Tagebuch eines Taugenichts (2)
Der Papst blickte zu Ostern auf einen leeren Petersplatz Foto: AFP

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Februar/März 2020: Norditalien wie ein Kriegsgebiet, nur zerbricht keine einzige Fensterscheibe; tränengesättigt der Blick auf die Fernsehscheibe, Europa schaut zu, wie zuvor in Lampedusa, lässt Italien allein, kein einziges Intensivbett wandert gen Süden.

Mache zunächst mit beim 8-Uhr-Balkon-Klatschen für das Pflegepersonal. Dann ertappt man sich beim Herden-Kitsch, Sentimentalität und wohlfeile Symbolik statt konkreter Hilfe. War zu feige, in Telefonzentrale zu helfen, warum nun klatschen? Helfen würde: mehr Lohn und gesellschaftliche Wertschätzung für Pflegeberufe.

Wie Tausende von Kollegen Videokonferenzen mit der Lernplattform „Google-Teams“; sogar als digitaler Immigrant keine nennenswerten Berührungsängste oder technischen Hürden; wollen Multis wie Google mit ihrem Teams-Produkt, dass sogar der untalentierteste PC-Benutzer nur noch vor dem Bildschirm hockt und nicht mehr zurück in die Klassenräume will? Klinisches Unterrichten, manchmal Hundebellen oder Kochgeschirr-Klirren im Hintergrund, man hört ungewollt in die akustische Hintergrundstrahlung der Haushalte; brauchen Schüler wirklich soziale Kontakte, wo sie doch im Normalschulbetrieb nur noch auf Handys stieren und mitunter kaum grüßen, wenn der Lehrer den Raum betritt?

Anfang April 2020: Lagarde, Merkel und Von der Leyen, drei Medusen, deren Anblick Italien versteinern lässt. Keine Eurobonds, basta. Deshalb wohl bald auch kein Europa mehr, wie wir es kennen?

Große Achtung vor Ärzten, Pflegern, Kassierern, Lastwagenfahrern und allen anderen, die sich nicht in die eigenen vier Wände zurückziehen konnten. Ebenso dezidierte Geringschätzung für „bouffeurs de profs“, die den Lehrer als arbeitsscheuen Kastraten betrachten. Gäbe es heutzutage ein Scherbengericht, den digitalen Ostrazismus auf einem Internet-Forum mit tausenden grölenden „Usern“, man wüsste als Betroffener nicht, ob man im heutigen „Luxusburg“ als Lehrer noch gelitten wäre oder in die Verbannung schreiten müsste. In Parteien eher geduldet, für Linke zu wenig Handarbeit leistend, für Liberale und Konservative Makel fehlender Wertschöpfung; scheinbar überbezahlt, wertloser Bücherwurm, bitte Maul halten und Versetzungen gutheißen. Sogar innerhalb anderer Beamtenlaufbahnen mitunter verständnislose Blicke auf diese zweibeinigen Anachronismen, die da Lehrer heißen. Oder ist das schon wieder einer der zahlreichen mimosenhaften Reflexe, die man sich über die Jahre so aneignet, Kondensat aus eigener Überzeugung und laienhaft dargebotener Rollenprosa? Nichts Genaues weiß man nicht.

Ostern 2020: Der Papst schreitet durch leere Straßen in Rom, hinter ihm breitschultrige Anzugträger, Choreografie der Angst, derweil China als Retter (Salvator) in Italien gepriesen: verkehrte Welt?
Ertappe mich bei einem zynischen Halbgedanken, der mich hinterrücks beschleicht: Man genießt phasenweise die Ruhe, die jäh eingekehrt ist, will sich das aber nicht eingestehen, weil zynisch angesichts des Leides. So primitiv-egoistisch sind mitunter unsere unartikulierten Wünsche.