ProzessAngestellter, der nach miterlebtem Suizid Invalidenrente erhält, soll Simulant sein

Prozess / Angestellter, der nach miterlebtem Suizid Invalidenrente erhält, soll Simulant sein
Ein heute 49-Jähriger bleibt bei seiner Aussage: Als unmittelbarer Zeuge einer Selbsttötung sei er psychisch krank geworden und habe deshalb die Invalidenrente bekommen. Die Staatsanwaltschaft und der frühere Arbeitgeber des Mannes, die Europäische Investitionsbank, sehen das anders.  Foto: Editpress

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Ist ein heute 49-Jähriger 2013 Zeuge einer Selbsttötung und dadurch psychisch krank geworden? Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Betrug vor. Seine Invalidenrente habe er rechtswidrig bekommen. Die Verteidigung spricht von bizarren Vorwürfen. Der Prozess hat am Mittwoch begonnen, ist dann aber auf September vertagt worden, da neue Zeugen geladen werden, welche die Version des Mannes bestätigen könnten. 

Die Staatsanwaltschaft spricht von Betrug. Die Verteidigung von bizarren Vorwürfen. Die Geschichte, um die es geht, liegt sieben Jahre zurück und spielt in Kirchberg.

Der heute 49-jährige H. arbeitet von 2004 bis 2015 als Wirtschaftsexperte für die Europäische Investitionsbank (EIB). Am 13. November 2013 soll er in den Räumlichkeiten der EIB Zeuge einer Selbsttötung geworden sein.

H. gibt damals an, unmittelbar dabei gewesen zu sein, als sich eine Frau aus dem neunten Stock des Gebäudes ins Atrium gestürzt hat. Die Frau sei schwer verletzt gewesen, habe aber noch gelebt. H. erzählte, er sei zur Rezeption gerannt, um Hilfe zu holen. Als er zurückgekommen sei, seien Rettungskräfte vor Ort gewesen. In seiner Erklärung betonte er, mit der Frau geredet zu haben. Kurze Zeit später erlag die Frau ihren Verletzungen. Bei der Toten handelte es sich um eine 23-jährige Praktikantin aus Rumänien.

Später wurde von der EIB eine unabhängige Untersuchung in Auftrag gegeben. Ein entsprechender Bericht des luxemburgischen Beratungsgremiums „Sécurité et santé au travail Luxembourg“ (SSTL) wurde den Verantwortlichen der EIB übergeben.

Einschneidendes Erlebnis

H. gibt an, dass das Erlebte ihn sehr mitgenommen und sein Leben verändert habe. Weil sich sein psychischer Zustand verschlimmerte, wurde er in die Invaliden-Rente geschickt. 

Drei Jahre später tauchte plötzlich eine strafrechtliche Anschuldigung auf: Die EIB will H. jetzt nachweisen, dass er gegenüber seiner Dienstbehörde falsche Angaben gemacht und gegen die Wahrheitspflicht verstoßen hat. H. habe das Ganze so dargestellt, als habe er selbst die schwer verletzte Frau aus nächster Nähe miterlebt. Laut Staatsanwaltschaft würden gewisse Zeugenaussagen aber zeigen, dass es anders gewesen sei. H. würde laut Anklage „einen Vorgang beschreiben, den es so nicht gegeben habe“.

In der Anklage der Staatsanwaltschaft steht: „Il est reproché à Monsieur H. qu’il n’était pas présent à ce suicide.“ Dem widerspricht die Verteidigung kategorisch und verweist auf Äußerungen von Zeugen, durch die sie fest davon überzeugt ist, dass sich der Verdacht gegen ihren Mandanten als unbegründet erweisen wird. Die Staatsanwaltschaft hatte jedoch noch am Mittwoch größte Bedenken, jegliche Zeugen der Verteidigung zu hören.

Nach Beratung mit zwei anderen Richtern beschließt der vorsitzende Richter Georges Everling am Mittwoch dann trotzdem, dem Antrag der Verteidigung stattzugeben und Zeugen vorzuladen. Daraufhin ist die begonnene Verhandlung abgebrochen und für September neu angesetzt worden. Die nächsten Verhandlungen werden am Bezirksgericht Luxemburg stattfinden.

Hervorzuheben ist noch, dass die Verteidiger des Angeklagten, Me Walter Van Steenbrugge und Me Joëlle Choucroun, auf den Untersuchungsbericht der SSTL verweisen, der nie veröffentlicht worden sei – trotz verschiedener Anfragen.