„Landung“ in Moskau

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Das anspruchsvollste Experiment in der Geschichte der Raumfahrt geht zu Ende: Nach 520 Tagen Isolation steigen sechs Männer in Moskau vor den Augen der Weltpresse aus einem Container.

Luke auf für den Schlussakt des längsten Isolationsexperiments der Raumfahrt: Sechs Männer beenden am 4. November nach 17 Monaten eine virtuelle Reise ins All. Bei dem spektakulären Projekt in Moskau simulierten Teilnehmer aus Russland, China, Frankreich und Italien seit Juni 2010 einen Flug zum Mars und zurück – streng abgeschirmt in einem Container. „Ich bin sicher, dass dies ein kleiner, aber wichtiger Schritt auf dem Weg zum Mars war“, sagt Peter Gräf vom beteiligten Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) der Nachrichtenagentur dpa in Moskau.

Insgesamt 520 Tage auf sich gestellt, rund um die Uhr überwacht von Kameras – alles im Dienst der Wissenschaft: Das Experiment Mars500 soll Erkenntnisse bringen für einen Flug zum Roten Planeten, irgendwann.

„Ein Paradies für Forscher“

„Diese geschlossene Gesellschaft war ein Paradies für Forscher“, sagt Alexander Choukèr von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der Anästhesist nutzte die Isolation der Raumfahrt-WG, um mit Hilfe ihrer Urin- und Speichelproben die Wirkung von Stress auf das Immunsystem zu untersuchen. Parallel analysierte die Universität Erlangen die Balance des Salz- und Wasserhaushalts, sagt Arzt Jens Titze: „Die Ergebnisse werden lange Bestand haben.“

Etwa zwei Millionen der rund zehn Millionen Euro Kosten übernehmen das DLR und die Europäische Weltraumbehörde Esa. Für jeden Teilnehmer der virtuellen Reise vom Roten Platz zum Roten Planeten gibt es etwa 80 000 Euro. Da Experten Leben auf dem Mars nicht ausschließen, ist der erdähnlichste Planet im Sonnensystem für sie besonders spannend.

Im Moskauer All

Fast 12 500 Stunden in einem fensterlosen Container mit einer Holzvertäfelung, die sowjetischen Charme verbreitet: Das ist fünfmal so lange wie beim ersten Langzeitexperiment der Mars-Forscher vor zwei Jahren. Damals verbrachte unter anderem der Düsseldorfer Oliver Knickel 105 Tage im Moskauer „All“. Kameras übertragen das Geschehen im Modul – bis auf eine je drei Quadratmeter „große“ Privatkammer – in einen benachbarten Kontrollraum. „Die Männer freuen sich auf den Ausstieg wie Kinder auf Heiligabend“, sagt Esa-Experte Martin Zell. Seit Wochen fühle sich die Crew „ausgelaugt“, heißt es.

„Die Simulation ist viel schwieriger als ein wirklicher Flug“, beschreibt Elektroingenieur Diego Urbina, einer der „Marsianer“, die Stimmung in dem 180 Quadratmeter großen „Raumschiff“. Im Gegensatz zu einem wirklichen Flug zum mehr als 50 Millionen Kilometer entfernten Planeten fehlten bei dem Experiment zwar Schwerelosigkeit und kosmische Strahlung. „Stattdessen spürt man oft Einsamkeit und eine große Monotonie“, erzählt der 28-jährige Italiener per Funk aus dem Modul.

Der erste Mensch auf dem Mars

Urbina hatte noch Glück: Mit dem Russen Alexander Smolejewski und dem Chinesen Wang Yue durfte er im Februar den röhrenförmigen Container kurz verlassen: für die virtuellen ersten Schritte eines Menschen auf dem Mars. Forscher hatten ein Stück des Roten Planeten, der den Beinamen wegen des rötlichen Eisenoxidstaubs trägt, im Moskauer Institut für Biomedizinische Probleme nachgebaut.

Alexej Sitjow und Suchrob Kamolow (beide Russland) sowie Romain Charles aus Frankreich mussten im „Mutterschiff“ auf ihre Kollegen warten. „Aber Hand aufs Herz: Wir waren uns in jeder Sekunde bewusst, dass wir nicht wirklich auf dem Weg zum Mars waren“, räumt Urbina augenzwinkernd ein. Um die Besatzung auf Trab zu halten, dachte sich die „Bodenstation“ dutzende Experimente aus – und inszenierte Pannen wie einen Brand. Auch kappte die Projektleitung für eine Woche alle Leitungen, damit die „Raumfahrer“ den Notfall im All proben.

Handgreiflichkeiten wie bei früheren Experimenten habe es nicht gegeben, beteuert Urbina. „Es war an Bord wie im normalen Leben: Nicht jeder muss jedermanns guter Freund sein.“ Sein Kollege Wang Yue freut sich unbändig auf den Ausstieg: „Ich habe Sehnsucht nach der Kochkunst meiner Mutter“, gesteht der Chinese nach dem strikten Ernährungsdiktat der Forscher. Zwar hatte das „Raumschiff“ vier Tonnen Lebensmittel an Bord. Asiatische Küche war aber nicht dabei.