Könnte ruppig werden

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Martin Schulz verlässt das Europaparlament. Das Gerangel um den kommenden Präsidenten geht los. Am Ende könnten die Rechtspopulisten profitieren. Die Wochen bis zur Wahl werden turbulent.

Martin Schulz geht. Die Parlamentarier in Straßburg müssen sich einen neuen Präsidenten suchen. Die Wahl findet im Januar statt. Das Gerangel ist schon jetzt in vollem Lauf. Die Konservativen schicken mit Antonio Tajani einen Berlusconi-Mann ins Rennen, der für viele nicht wählbar ist. Die Sozialdemokraten setzen mit Gianni Pittella ebenfalls auf einen Italiener.

Für die Liberalen mischt der Belgier Guy Verhofstadt das Ganze ordentlich auf. Am Ende könnten die Rechten um Marine Le Pen profitieren. Oder ist das alles doch nur eine geschickte Finte der eng vernetzten Südeuropäer gegen die deutsche Austeritätspolitik? Im Europaparlament wird hoch gepokert – es könnte ein ruppiges Spiel werden.

Wer ist dieser Tajani?

Aber wieso schätzen so viele EVP-Kandidat Tajani als nicht wählbar ein? Wer ist dieser Mann? Vor allem ist Tajani ein Berlusconi-Vertrauter und Mitglied von dessen Partei Forza Italia. Berlusconi und Schulz werden in diesem Leben keine Freunde mehr. Erinnert sei nur an die Ausfälligkeiten des Italieners gegenüber dem Deutschen, als Schulz sich anhören lassen musste, er wäre die perfekte Besetzung für die Filmrolle eines KZ-Aufsehers.

Der Luxemburger Frank Engel, selber Mitglied der EVP, versteht seine Fraktion nicht mehr. „Wir haben es tatsächlich fertiggebracht, jemanden zu wählen, der an der Wiege des europäischen Populismus steht“, sagt Engel. Engel sieht die Wahl auch als strategischen Fehler. Einer, über den sich andere nun freuen. Etwa auf Seiten der Grünen-Fraktion im EP.

„Eigentor“ der EVP?

„Bei viel gutem Willen, mit Tajani kann man vielleicht abends gut und nett essen gehen“, führt der Luxemburger Claude Turmes aus, „aber dieser Mann als EP-Chef, das scheint mir nicht das Richtige.“ Die EVP habe mit dieser Wahl ein „Eigentor geschossen“, ist Europaparlamentarier Turmes überzeugt, der sich fragt, „wie die EVP nun eine Mehrheit hinbekommen will“.

Der Luxemburger Abgeordnete Charles Goerens, Mitglied der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) und selber europäisches Urgestein, hält Schulz gar für „den besten Präsidenten, den wir je hatten“ – und ist dementsprechend enttäuscht vom Ablauf der letzten Wochen in Straßburg. Für Goerens’ Fraktion allerdings tun sich mit der Tajani-Wahl andere Perspektiven auf. Goerens sagt unumwunden: „Das ist klar, dass Guy das macht.“ Mit Guy ist Verhofstadt gemeint, einer dieser Super-Europäer, der den „Tiefgang“, den Turmes bei Tajani vermisst, wohl aufweisen kann.

„Europa brennt“

Die Konservativen, die Martin Schulz vom Straßburger Acker gejagt haben, ernten jetzt die bitteren Früchte dieser Aktion. Schulz war beliebt, quer durch die Bänke. Er hat dem EP ein Gesicht gegeben, es stark nach außen repräsentiert und im Inneren zusammengehalten. Das Problem hat auch Engel erkannt. „Das Schlimmste“, sagt er, „ist das Zeichen, das wir aussenden. Europa brennt – und wir machen drei Monate nichts anderes, als Schulz zu vertreiben.“

Im Januar wird es in Straßburg also möglicherweise ziemlich ruppig zugehen. Nach maximal vier Wahlgängen wird der neue Präsident stehen. Bei den drei ersten wird eine absolute Mehrheit benötigt. Braucht es einen vierten, kommt es zur Kampfabstimmung.

Was das Ganze mit Marine Le Pen zu tun hat und ob alles nicht doch vielleicht eine geschickte Finte der quer durch die Bänke eng vernetzten Südeuropäer ist, um den Spuk der Austeritätspolitik zu vertreiben – dies und mehr in unserer großen Analyse zur Frage der Schulz-Nachfolge in der Samstagnummer des Tageblatt.