„Keine Leben, die weniger wert sind“

„Keine Leben, die weniger wert sind“
(Tageblatt/Hervé Montaigu)

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Seit Dienstag sind die neuen Container des neuen alten Abrigado (vormals Tox-In) in der route de Thionville in Betrieb. Am Freitag wurde das Projekt vor der Eröffnung am Samstag noch einmal vorgestellt.

Das Abrigado (der Name Tox-In hat sich in der Praxis als problematisch erwiesen, ebenso die Bezeichnung „Fixerstuff“) bleibt in einer provisorischen Struktur an alter Stätte. So lange, bis der geplante Neubau an der rue d’Alsace alle administrativen Hürden genommen hat. Das, so Bürgermeister Xavier Bettel, sei nun „d’urgence“ zu behandeln.

Eine Debatte über Nutzen und Notwendigkeit dieser szenenahen Drogenhilfe erübrigt sich eigentlich. 2005 habe man noch ca. 85.000 Spritzen eingesammelt und etwa 77.000 saubere Spritzen ausgegeben. 2010 lag man bei beiden Zahlen über 200.000. Wo man diese Spritzen sonst finden würde, ist klar: Hauseingänge, Schulhöfe, Spielplätze … Dass die Zahl der Nutzer so gestiegen ist, habe nicht unbedingt mit einem höheren Drogenkonsum zu tun, so Patrick Klein, Direktionsbeauftragter des Comité national de défense sociale (CNDS) und verantwortlich für das Abrigado. „Wir haben sie aus dem Schatten geholt“, erklärt er.

Lebensretter

Dass die Container an der route de Thionville statt der geplanten zwei jetzt acht Jahre herhalten mussten, ist eine andere Geschichte. Aber zumindest können die ca. 30 Angestellten jetzt unter angemessenen und vor allem sicheren Bedingungen arbeiten. Neben den 100 täglichen Besuchen im Drogenkonsumraum kommen alleine zwischen 200 und 250 Besucher täglich ins Kontaktcafé. „Ein Drogensüchtiger bewegt sich im Bereich einer strafbaren Handlung. An wen soll er sich denn wenden?“, so Klein. Im Abrigado werden Kontakte gepflegt, „so lange, bis der Klient von sich aus kommt und sagt ‚Ich will raus‘. Aber es muss von ihm kommen.“

Die Zahl der Betten ist zwar gleich geblieben, aber mit den neuen Räumlichkeiten kann das Angebot ausgebaut werden. Auch jene, die ihr Heroin inhalieren, finden jetzt hier einen Platz. Es steht auch zweimal wöchentlich ein Arzt zur Verfügung. „Wir haben nicht die einfachste Klientel, aber diese Menschen stehen am Rande der Gesellschaft und haben keinerlei Fürsprecher. Darin sehen wir auch unsere Rolle.“

„Es geht darum, Leben zu retten, und hier sind ganz viele gerettet worden“, so der Gesundheitsminister Mars di Bartolomeo. 1.000 Überdosen habe es in den letzten Jahren hier gegeben. Keine davon sei fatal gewesen. Das wäre auf der Straße anders gelaufen. „Es gibt keine Leben, die weniger wert sind“, so Di Bartolomeo. Zudem ist eine Einrichtung wie das Abrigado relativ fortschrittlich. Drogenkonsumräume gibt es in Frankreich gar nicht. In Deutschland, Spanien, Portugal und der Schweiz hingegen schon.

Und die anderen?

In Luxemburg sind ca. 30 Prozent der Kunden, die aus allen Gesellschaftsschichten kommen, nirgends gemeldet, 25 bis 30 Prozent kommen aus dem Süden des Landes. Nicht nur deshalb appellieren die Stadtverantwortlichen immer wieder an andere Gemeinden, auch ihre Verantwortung zu übernehmen. So soll eine ähnliche Struktur in Esch entstehen, wo sich die Diskussionen aber scheinbar endlos lange hinziehen. Mars di Bartolomeo bekräftigte gestern, dass man mit der Gemeinde Esch über einen Terminplan übereingekommen sei. „Wir haben ein festes Engagement und daran halte ich mich Wort für Wort.“

Dass es mit der Akzeptanz solcher Strukturen nicht allzu weit her ist, zeigen aber Beispiele wie Ettelbrück, wo der Bürgermeister sich gegen eine „Fixerstuff“ aussprach (obwohl keine vorgesehen war). Hier wird ein anderes Angebot entstehen. Immerhin habe die „Jugend- an Drogenhëllef“ hier um mehr Personal gebeten. Dabei würden mehr Anlaufstellen an verschiedenen Orten das Problem entschärfen. Eine bessere Verteilung der Nutzer würde an den einzelnen Standorten dafür sorgen, dass man unter einer kritischen Masse bleibt, ergo, weniger Unannehmlichkeiten für die unmittelbare Nachbarschaft, die solche Einrichtungen in der Regel nur äußerst ungern in ihrer Gegend sieht.

Allerdings darf dabei, wie auch bei der leidigen Standortdiskussion in der Hauptstadt, eines nicht vergessen werden. Gilles Rod, Direktor des Trägers CNDS: „Ein Land, dem es prinzipiell gut geht, misst sich auch daran, wie es mit den Schwächsten umgeht. Es geht hier um Menschen. Wir sind verpflichtet, auch diesen Leuten die Lebensqualität zu geben, die sie brauchen.“