Keine Kanzlermehrheit in Berlin

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(dapd)

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Grünes Licht für das neue Griechenland-Paket. Bei der siebten Abstimmung seit 2010 im deutschen Bundestag über Euro-Hilfen verfehlt Merkel aber erstmals ihre Kanzlermehrheit.

Der deutsche Bundestag hat das zweite Rettungspaket für Griechenland mit großer Mehrheit gebilligt – Schwarz-Gelb verfehlte aber die politisch wichtige Kanzlermehrheit. Bei der namentlichen Abstimmung schaffte das Regierungslager zwar die eigene Mehrheit. Mit 304 Ja-Stimmen reichte es aber erstmals bei einer wichtigen Euro-Abstimmung nicht für die Kanzlermehrheit.

Bei der Union gab es 13 Nein-Stimmen und 2 Enthaltungen. Beim Koalitionspartner FDP sagten 4 Abgeordnete Nein, bei 1 Enthaltung. 6 Parlamentarier von Union und FDP waren auf Reisen oder krank. Da die Kanzlermehrheit aus Sicht der Regierung nicht nötig war, verzichteten die Koalitionsspitzen darauf, die Abgeordneten nach Berlin zu holen. Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Volker Beck, sagte: „Der Koalition geht langsam die Puste aus.“

Siebte Abstimmung

Es war seit Mai 2010 die siebte Abstimmung über Euro-Rettungshilfen. Für die Kanzlermehrheit im deutschen Parlament hätte Schwarz-Gelb 311 Ja-Stimmen gebraucht – eine Stimme mehr als die Hälfte aller 620 Abgeordneten.

Für das neue Griechenland-Hilfsprogramm von 130 Milliarden Euro stimmten am Montagabend insgesamt 496 Abgeordnete, darunter auch die Mehrheit von SPD und Grünen. 90 Parlamentarier waren dagegen, 5 enthielten sich. Die Linke lehnte das zweite Rettungspaket ab, mit dem Athen vor dem Staatsbankrott gerettet werden soll.

Zweites Hilfsprogramm

Es ist bereits das zweite Hilfsprogramm für das angeschlagene Euro-Land. Als Gegenleistung für die Milliardenhilfen bis Ende 2014 hat sich Athen zu einem scharfen Spar- und Reformkurs verpflichtet. Wichtige Punkte wie die Beteiligung der Privatgläubiger an einem Schuldenschnitt und Anleihetausch sowie die Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) sind aber noch offen.

Vor der Abstimmung überraschte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem Angebot, dass Deutschland den künftigen Euro-Rettungsschirm ESM weit schneller mit Kapital ausstatten will. Die Bundesregierung sei bereit, den deutschen Anteil von gut 22 Milliarden Euro innerhalb von zwei Jahren einzuzahlen statt wie bisher geplant in fünf Jahresraten.

„Andere EU-Staaten sollen mitziehen“

„Voraussetzung dafür ist, dass auch die anderen Mitgliedstaaten mitziehen“, betonte die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung vor dem deutschen Bundestag. Damit würde die Ausleihkapazität des im Juli startenden ESM von bis zu 500 Milliarden Euro nach nur zwei Jahren erreicht. Die ersten 11 Milliarden Euro als Bareinlage sollen noch in diesem Jahr fließen, die zweite Hälfte dann 2013.

Zugleich erteilte die Kanzlerin Forderungen der USA, der EU-Kommission sowie des Internationalen Währungsfonds (IWF) nach einem höherem Schutzwall um die Euro-Zone erneut eine Absage. „Die Bundesregierung sieht derzeit keine Notwendigkeit für eine Debatte über eine Erhöhung der Kapazitäten von EFSF und ESM.“ Die Finanzierung des ESM ist Thema beim EU-Gipfel diese Woche.

80 Milliarden Bareinlagen

Der ESM soll mit Bareinlagen der Euro-Länder von 80 Milliarden Euro ausgestattet werden. Davon schultert Deutschland 21,7 Milliarden. Ursprünglich sollte das Geld in fünf gleichen Jahresraten eingezahlt werden. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) muss dafür neue Schulden aufnehmen und 2012 einen Nachtragsetat vorlegen.

Vor der Abstimmung über das Hilfspaket hatte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) mit einem Vorstoß zum Austritt Athens aus der Euro-Zone für Irritationen und Unmut auch im Koalitionslager gesorgt. Merkel ließ den Vorstoß zurückweisen: Die Kanzlerin teile diese Einschätzung nicht, sagte ihr Sprecher Steffen Seibert.

„Chancen größer als Risiken“

Die deutsche Kanzlerin erklärte im Bundestag, die Chancen mit dem neuen Hilfsprogramms seien größer als die Risiken. Der vor den Griechen liegende Weg sei aber lang und wahrlich nicht ohne Risiko. „Eine 100-prozentige Erfolgsgarantie kann niemand geben“, betonte Merkel. Sie rief die privaten Gläubiger auf, sich am Schuldenschnitt zu beteiligen. Unabdingbar sei ein weiter signifikanter Beitrag des IWF.

Der frühere deutsche Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) hält das Vorgehen der Bundesregierung „auf ganzer Linie“ für gescheitert. Merkel habe die Dimension der griechischen Tragödie lange völlig unterschätzt, sagte er im Parlament. „Das zweite Griechenland-Paket ist auf sehr dünnem Eis gesetzt.“

Bei den Grünen wurden große Sorgen um die soziale Stabilität Griechenlands deutlich. Linke-Fraktionschef Gregor Gysi verglich die Vorgaben für Athen mit den Reparationsforderungen an Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. „Sie machen bei Griechenland Versailles, die brauchen aber Marshall.“ Der Marshallplan trug wesentlich zum Wiederaufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg bei.