„Katastrophale Zustände“

„Katastrophale Zustände“
(AFP)

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Ein Gefängnis ist kein Hotel. Das weiß auch IWF-Chef Strauss-Kahn. Frankreich kritisiert die "Abfertigung" des 62-Jährigen. Wir haben hinter die "schwedischen Gardinen" geschaut - auch in Frankreich.

Dominique Strauss-Kahn sitzt nach seiner angeblichen Sex-Attacke mit rund 14.000 Häftlingen im Gefängnis Rikers Island, einer Insel im East River von New York. Er hat Glück, da er in einer Einzelzelle sitzen darf. Sie ist 3,5 Meter mal 4,0 Meter groß und verfügt über eine Basis-Ausstattung. Dazu gehören ein Bett, eine Trinktasse, Seife, Shampoo sowie Zahnpasta. Die übrigen Insassen bewohnen größtenteils mit 50 Mann besetzte Baracken. Auch seine Mahlzeiten wird der IWF-Chef alleine einnehmen dürfen. Wenn er seine Zelle verlässt, wird er von Wachmännern eskortiert.

Der 160 Hektar große Gefängniskomplex liegt nördlich des Flughafens LaGuardia und ist eine der größten Strafanstalten der USA. Der Knast ist für zahlreiche Auseinandersetzungen zwischen Insassen und Wärtern bekannt. In einem der prominentesten Fälle wurde ein Wärter zu sechs Jahren Haft verurteilt, weil er Insassen als Teil einer nicht genehmigten Disziplinarmaßnahme befahl, einen anderen Häftling zu verprügeln.

Hafterleichterung erkaufen

Überfüllung, Gewalt und Terror gehören zum Alltag in den US-Gefängnissen. Doch es geht auch anders: Im Sonnenschein-Staat Kalifornien haben Häftlingen in einigen Gefängnissen die Möglichkeit sich bessere Haftbedingungen zu erkaufen. Je nach Art der Vergünstigung zahlen die Insassen mit dem „pay-to-stay“-Angebot teilweise mehr als 100 Dollar täglich. Wo das Geld allerings herkommt, ist fraglich.

Besonders in Frankreich wird Kritik über die Behandlung Strauss-Kahns laut. Frankreichs Finanzministerin Christine Lagarde sagte, die Lage ihres Landsmanns sei „niederschmetternd und schmerzhaft“. Bei aller Kritik an US-Haftanstalten, Frankreich kann da locker mithalten. Gerade französische Gefängnisse sind gefürchtet. Das Land wird regelmäßig für seine Haftbedingungen kritisiert. Die Gefängnisse sind veraltet, überfüllt und wegen der europaweit höchsten Selbstmordrate unter den Häftlingen berüchtigt.

„Zustand katastrophal“

Laut Lobby-Organisation OIP, die für die Rechte von Häftlingen eintritt, ist „der Zustand der Gefängnisse in Frankreich katastrophal.“ „Wir brauchen noch mehr Ersatzfreiheitsstrafen, wie beispielsweise in Deutschland“, sagte die OIP- Vorsitzende Florence Aubenas. Neben den Elektrofesseln sei auch gemeinnützige Arbeit sinnvoll. Die überfüllten Gefängnissen produzierten zahlreiche Wiederholungstäter und führten zu hohen Selbstmordraten.

2009 Jahr waren die Belegungskapazität der französischen Gefängnisse um 26 Prozent überschritten, in mehreren Haftanstalten gab es doppelt so viele Häftlinge wie Plätze. Offiziell nahmen sich 115 Häftlinge das Leben. 2011 wurden die Kapazitäten noch immer um 18 Prozent überschritten.

„Entsetzliche Haftbedingungen“

„Mit Ausnahme vielleicht von Moldawien habe ich niemals zuvor entsetzlichere Haftbedingungen erlebt als in Frankreich“, sagte der ehemalige spanische Menschenrechtskommissar des Europarates, Alvaro Gil-Robles, nach dem Besuch französischer Haftanstalten. Er hatte über einen Zeitraum von mehreren Jahren Gefängnisse, Haftanstalten und psychiatrische Einrichtungen in 32 Ländern Europas besucht.

Ein Bericht eines Gutachters über ein Gefängnis in Rouen liest sich mit Schaudern: „Die Toilette ist nicht von dem Bereich abgetrennt, in dem gegessen wird. Es gibt keine Lüftung. Das Toilettenbecken hat keinen Deckel. Töpfe und Essgeschirr werden in einigen Haftzellen in unmittelbarer Nähe der Toilette untergebracht.“

Neuankömmlinge vergewaltigt

Bernard Tapie, ehemaliger Minister und Adidas-Eigner, der mehrmals wegen Steuerhinterziehung einsaß, sagte nach seiner letzten Haftentlassung: „Um die Nerven gleich am ersten Tag zu verlieren, reichen die Schreie der Neuankömmlinge, die von ihren Mithäftlingen vergewaltigt werden.“

Präsident Nicolas Sarkozy hatte eingeräumt, dass die Zustände in französischen Gefängnissen eine Schande für die Nation seien. Doch der Staat hat bislang kaum etwas dagegen getan. Die Regierung hatte angekündigt 23 Haftanstalten dicht zu machen. Gleichzeitig sollen allerdings mehrere Gefängnisse neu gebaut sowie bestehende vergrößert werden. Damit entstehen bis 2017 rund 5000 neue Gefängnisplätze.