Es ist eine dramatische Woche der Wende in und für Italien. Der erfolgsverwöhnte Silvio Berlusconi hat keine Mehrheit mehr im Parlament und muss den Hut nehmen. Im Handumdrehen präsentiert Staatspräsident Giorgio Napolitano einen Nachfolger: Der frühere EU-Kommissar Mario Monti übernimmt das Ruder. Er geht daran, das hoch verschuldete und vor einer tiefen Rezession stehende Land aus der Krise zu ziehen. Die kritischen Finanzmärkte applaudieren.
Das war vor einem Jahr. Was da abging, hat selbst die Italiener verblüfft. Sie mussten sich erst einmal daran gewöhnen, im römischen Regierungspalazzo Chigi nicht mehr den durch zahlreiche Sex-Skandale angeschlagenen Milliardär und Medienzar zu sehen. Berlusconis Gegner feierten laut den Abgang, Skeptiker fragten: Geht er nun für immer? Noch nicht ganz. Manche Italiener nahmen das zwiespältig auf. Zwar waren sie den Skandal-Premier los. Doch sie müssen jetzt bluten. Denn es folgte die Spar- und Steuerschraube, von Mario Monti angezogen.
Schlüsselfigur Napolitano
Das Misstrauen der Finanzmärkte dem Italien Berlusconis gegenüber trug vor einem Jahr wesentlich dazu bei, die Position des „Cavaliere“ zu unterhöhlen. Nach einer schweren Abstimmungsschlappe im Parlament trat Berlusconi am 12. November den letzten Gang zum Quirinale-Palast des Staatspräsidenten an. Napolitano sollte sich als Schlüsselfigur erweisen, als geschickter Lenker der Politik. Es ist eine Rolle, die ihn bis heute in Atem hält, muss sein Mann Monti doch mit den alteingesessenen Parteien fertig werden, sie auf seine Seite ziehen. Erst im kommenden April sind nationale Parlamentswahlen geplant. Und trotz scharfer Sparpolitik ist der parteilose Professor Mario Monti der meistgenannte Kandidat.
Vier Tage nach Berlusconis Rücktritt legte der von Napolitano als Rettungsanker ausgesuchte, also nicht gewählte Wirtschaftsfachmann in Rom den Amtseid ab. Napolitano hatte ihn sofort nach dem Abgang des Mannes, den seine Gegner für die Stagnation Italiens verantwortlich machten, um die Bildung einer „Technokratenregierung“ gebeten. Das Land rieb sich die Augen, während Monti die Ärmel aufkrempelte. Beide stammen aus dem Norden Italiens, könnten aber doch unterschiedlicher kaum sein. Der schillernde und leutselige Berlusconi, von Skandalen und der Justiz verfolgt, schien nach nahezu zwei Jahrzehnten in der Politik am Ende zu sein. Ihm folgte der so unitalienisch leise Monti.
Schuldenbremse
Monti kennt Skandale nicht. Er verzichtet auf sein Gehalt, beginnt im Eiltempo mit der Arbeit und bringt die drittgrößte Volkswirtschaft in den Kreis der entscheidenden Länder zurück. Italien verordnet er die Schuldenbremse, ein 26-Milliarden-Sparpaket sowie eine Renten- und eine Arbeitsmarktreform. Kürzungen und Steuererhöhungen sind also zunächst angesagt. „Eine bittere Medizin, die aber dem Land gut tut“, erklärt der 69-jährige Bankierssohn aus Varese in der Lombardei. Das Land hält, zumindest im Vergleich mit Griechenland und Spanien, einigermaßen still. Tief in einer Rezession braucht es nach Montis Rotstiftpolitik jetzt Wirtschaftswachstum, um aus dem Tränental zu kommen.
Und Berlusconi? Politisch Totgesagte leben länger, konnte man im Sommer meinen, als der 76-jährige „Cavaliere“ einen Versuchsballon in den Medien steigen ließ: Er könne doch noch einmal antreten. Die ganz auf ihn zugeschnittene Partei PDL (Volk der Freiheit) hat gewaltig an Boden verloren, sie droht zur drittstärksten Kraft hinter Populisten abzusinken. Aber Berlusconi hat weiterhin Ärger mit der Justiz, wird in einem Betrugsprozess verurteilt. Sein Sex-Verfahren um die junge Marokkanerin „Ruby“ geht bald zu Ende. Also lässt er – nach letztem Stand – die Idee eines Comebacks fallen. Seine Meinung wechselt er oft. Ebenfalls nach letztem Stand also steht er wieder hinter Monti, allen Anti-Europa-Ausfällen und den Sprüchen gegen Berlin zum Trotz.
Monti sucht bei aller Kritik an der rigiden Politik der deutschen Bundeskanzlerin die europäische Achse, vor allem mit Frankreichs Präsidenten François Hollande. Und der Regierungschef freundet sich offensichtlich mit dem Gedanken an, das Land auch über den Wahltag im Frühjahr hinaus zu führen. Auch der Brite Tony Blair und der Spanier José Maria Aznar seien nach unpopulären und schmerzhaften Reformen wiedergewählt worden, erklärte er dem Pariser Wirtschaftsblatt „Les Echos“. Immer wieder sagt Monti, die Italiener seien reifer als die Politiker des Landes. Licht sei am Ende des Tunnels auch zu erkennen.
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