Warten auf die Brexit-Einigung: EU-Staats- und -Regierungschefs beraten ab Donnerstag in Brüssel

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Der Brexit wird die EU-Staats- und -Regierungschefs bei ihrem am Donnerstag in Brüssel beginnenden Gipfeltreffen weiter in Atem halten. Am Mittwochabend meldeten Nachrichtenagenturen, dass es in der Nacht zum heutigen Donnerstag zu keiner Einigung in den Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien kommen werde.

Offenbar scheinen die Verhandlungen zwischen der EU und London allerdings so weit gediehen zu sein, dass eine Einigung möglich ist. Die Gespräche liefen gestern auf Hochtouren. Der EU-Chefverhandler Michel Barnier verschob am Nachmittag immer wieder ein Treffen mit den EU-Botschaftern der Mitgliedstaaten, bei dem er diese über die Fortschritte bei den Gesprächen mit den britischen Verhandlungspartnern informieren wollte. Die Ungewissheit über den Verhandlungsstand führte dazu, dass bis gestern noch keine Tagesordnung für das Gipfeltreffen vorlag. „Das hatten wir noch nie“, hieß es aus Diplomatenkreisen in Brüssel.

Solange die EU-Staats- und -Regierungschefs in Brüssel tagen, muss eine Einigung in der umstrittenen Frage des sogenannten Backstop, mit dem die Wiedereinführung von Kontrollen an der Grenze zwischen der Republik Irland und der zu Großbritannien gehörenden Provinz Nordirland verhindert werden sollen, gefunden werden. Kommt es zu keiner Einigung, werden die britischen Abgeordneten am Samstag nicht über ein neues Abkommen abstimmen können. Dann wäre der britische Premierminister Boris Johnson per Gesetz gezwungen, um eine neuerliche Verschiebung des Austrittsdatums um drei Monate bei seinen 27 Amtskollegen anzusuchen. Wogegen sich Johnson vehement sträubt.

Ohne Einigung EU-Austritt verschieben

Die EU-Chefs werden daher heute wohl ausführlicher wissen wollen, wie der britische Premier in der Causa Brexit weiter vorgehen will. „Kommt es zu einem Deal, hat die EU ihren Teil erfüllt. Dann müssen wir aber sehen, was Westminster macht“, meinte gestern Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Boris Johnson hat im britischen Unterhaus keine Mehrheit mehr. Es ist durchaus möglich, dass die Opposition ihm die Zustimmung verweigert und ihn zwingt, eine Verschiebung des Brexit anzufragen.
Das Unterhaus hat vor einigen Wochen per Gesetz festgelegt, dass der Premier dies tun müsse, falls die britischen Abgeordneten bis zum 19. Oktober noch keinem Abkommen mit der EU zugestimmt haben. Damit wollen sie vermeiden, dass es am 31. Oktober zu einem harten Brexit kommt.

Unklarheit herrscht jedoch nicht nur in Sachen britischer EU-Austritt. Im Gegensatz zu Großbritannien streben Albanien und Nordmazedonien in die EU. Die EU-Kommission hat längst grünes Licht gegeben um die entsprechenden Beitrittsverhandlungen mit den beiden Balkanstaaten aufzunehmen. Allerdings konnten sich die EU-Staaten bei ihrem Treffen am Dienstag in Luxemburg noch nicht darauf einigen, mit den Gesprächen zu beginnen. Vor allem Frankreich hat sich hierzu bislang ablehnend geäußert. Luxemburgs Außenminister gab sich gestern jedoch davon überzeugt, dass sich beim Gipfeltreffen die Blockadehaltung auflösen werde. Neben Frankreich haben ebenfalls die Niederlande und Dänemark noch Bedenken.

Luxemburg hat sich für die Aufnahme der Beitrittsgespräche ausgesprochen. Jean Asselborn erinnerte daran, dass Nordmazedonien, das bereits 2005 den Status eines Beitrittskandidaten erhielt, bereit war, nach Verhandlungen mit Griechenland den Landesnamen zu ändern, um die Bedingungen für die Beitrittsgespräche zu erfüllen. Zudem gehe es vorerst nur um die Aufnahme von Verhandlungen und nicht um den Beitritt selbst, so Jean Asselborn weiter.

Diskussionen um Haushaltsplanung

Noch weniger wird sich bei Gipfeltreffen in der ebenso wichtigen Frage der mehrjährigen EU-Haushaltsplanung tun. Bis Ende des kommenden Jahres müssen sich die dann nur noch 27 auf ein gemeinsames Gesamtbudget für die Jahre 2021 bis 2027 geeinigt haben. Der finnische EU-Ratsvorsitz will allerdings erst nach dem Gipfeltreffen neue Vorschläge für die entsprechenden Verhandlungen auf den Tisch legen. Mit dem EU-Austritt Großbritanniens wird ein gewichtiger sogenannter Nettozahler wegfallen, weshalb die Frage aufgeworfen wurde, welches EU-Mitglied nun mehr an die gemeinsame Kasse abführen will. Zudem wird die Forderung erhoben, die Mittel für das Budget zu erhöhen. Nicht nur soll das europäische Projekt in seiner Gesamtheit vorangetrieben werden, auch die Aufgaben, mit denen die Mitgliedstaaten die Union betrauen, sind gewachsen.

Luxemburg würde sich weder dem einen noch dem anderen verschließen, sei also bereit, mehr zu einem größeren Haushalt beizutragen. Jene Länder, die am meisten aus den europäischen Fördertöpfen bedacht werden, plädieren für ein besser ausstaffiertes Budget, wohingegen Länder wie Deutschland und die Niederlande dieses auf ein Prozent des EU-weiten Bruttoinlandprodukts begrenzen wollen.

Die gleichen wollen allerdings nicht auf ihren Rabatt verzichten, der ihnen im Zuge des britischen Rabatts der einstigen Premierministerin Margaret Thatcher zugestanden wurde. Deutschland, die Niederlande, Schweden, Dänemark und Österreich beteiligen sich verhältnismäßig weniger an den Rückzahlungen an Großbritannien. Diese Rabatte will die EU-Kommission abschaffen, was die luxemburgische Regierung unterstützt.

Schließlich werden sich die 28 noch mit dem türkischen Einmarsch in Nordsyrien beschäftigen. Am Montag konnten sich die EU-Außenminister bei ihrem Treffen in Luxemburg gerade noch darauf verständigen, das militärische Vorgehen der Türkei gegen die Kurden zu „verurteilen“. Es reichte jedoch nicht für ein Waffenembargo gegen die Türkei oder gar die Verhängung von Sanktionen, die allerdings in den USA bereits seit vergangener Woche diskutiert werden. Von den EU-Staats- und -Regierungschefs ist jedoch ebenfalls kaum mehr zu erwarten. Immerhin wollen sie, dass sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan weiterhin an den gemeinsamen Deal hält und keine weiteren Flüchtlinge durchlässt.