Ukraine-KriegUkrainischer General über die Lage im Donbass: „Russland ist im Vorteil, aber wir tun alles, was wir können“

Ukraine-Krieg / Ukrainischer General über die Lage im Donbass: „Russland ist im Vorteil, aber wir tun alles, was wir können“
Ein Junge sitzt in Kramatorsk im Donbass vor einem zerstörten Gebäude Foto: AFP/Aris Messinis

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Um den Donbass im Osten der Ukraine wird immer erbitterter gekämpft. Der Kessel um tausende ukrainische Soldaten in den Zwillingsstädten Sewerodonezk und Lysytschansk.

Die ukrainischen Verteidiger des Donbass im Osten des Landes sehen sich nach eigenen Angaben einer russischen Übermacht ausgesetzt. „Russland ist im Vorteil, aber wir tun alles, was wir können“, sagte General Olexij Gromow am Donnerstag mit Blick auf die Region Luhansk. Innenminister Wadym Denisenko sprach von einer sehr angespannten Lage: „Alles konzentriert sich nun auf den Donbass.“ Dort versuchten 25 russische Bataillone, die ukrainischen Truppen einzukesseln. In voller Stärke zählt ein Bataillon etwa 800 Soldaten. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte, die russischen Soldaten seien in einigen Teilen des Ostens „zahlenmäßig weit überlegen“.

Dass immer erbitterter um den Donbass gekämpft wird, sagte auch Vize-Verteidigungsministerin Ganna Malyar am Donnerstag. Der Kampf habe „seine maximale Intensität“ erreicht. „Die feindlichen Truppen stürmen die Positionen unserer Truppen gleichzeitig aus mehreren Richtungen.“ Angesichts dieses Vorrückens der russischen Armee hätten die ukrainischen Soldaten „eine extrem schwierige und lange Kampfphase“ vor sich. „Die Lage bleibt schwierig, und es gibt Anzeichen für eine weitere Verschärfung“, sagte Malyar bei einer Pressekonferenz. „Wir müssen begreifen, dass das ein Krieg ist, und dass, leider, Verluste auf unserer Seite unvermeidlich sind.“

Angriff von drei Seiten

Russland konzentriert seine Offensive auf den Donbass, nachdem es nicht gelungen war, die ukrainische Hauptstadt Kiew oder die zweitgrößte Stadt Charkiw einzunehmen. Nun versuchen seine Truppen, den Donbass vollständig zu erobern, wo bereits seit 2014 pro-russische Separatisten die Regionen Donezk und Luhansk weitgehend unter Kontrolle haben. Russland greift von drei Seiten an. Ziel ist es, die ukrainischen Streitkräfte einzukesseln, die sich in Sewerodonezk und Lysytschansk aufhalten. Fielen die Zwillingsstädte, erhielte Russland die Kontrolle über die gesamte Region Luhansk. Für die Führung in Moskau wäre damit ein wichtiges Kriegsziel erreicht.

Russland ist im Vorteil, aber wir tun alles, was wir können

Der ukrainische General Olexij Gromow

Die vorrückenden russischen Truppen konnten nach ukrainischen Angaben kurzzeitig einen Kontrollpunkt auf der letzten offenen Ausfallstraße errichten, die aus den Zwillingsstädten herausführt, wie Provinzgouverneur Serhij Gaidai einräumte. Sie seien aber zurückgeschlagen worden. Die russischen Streitkräfte kontrollierten die Straße nicht, nähmen sie aber unter Beschuss.

Russische Truppen hatten binnen 24 Stunden nach ukrainischen Angaben mehr als vierzig Städte im Donbass angegriffen und bedrohten damit den letzten großen Fluchtweg für die Zivilbevölkerung aus dem Osten der Ukraine. In den Regionen Donezk und Luhansk seien mehr als 47 zivile Einrichtungen zerstört oder beschädigt worden, teilten die ukrainischen Streitkräfte auf Facebook mit: „Als Folge des Beschusses wurden fünf Zivilisten getötet und zwölf verletzt.“ In Luhansk und Donezk wurden einem Bericht der russischen Nachrichtenagentur Tass zufolge rund 8.000 ukrainische Kriegsgefangene festgehalten. Eine unabhängige Bestätigung dafür war nicht möglich.

Ein Mann geht in der Nähe der Stadt Lysytschansk an den Resten einer Rakete vorbei
Ein Mann geht in der Nähe der Stadt Lysytschansk an den Resten einer Rakete vorbei Foto: AFP/Aris Messinis

Selenskyj wies Vorschläge zurück, seine Regierung solle Russland territoriale Zugeständnisse machen, um den Krieg zu beenden. Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger hatte vorgeschlagen, Russland die 2014 annektierte Halbinsel Krim zu überlassen. Selenskyj wies dies entschieden zurück. Derartige „weltpolitische Figuren“ sähen „nie die gewöhnlichen Menschen, die gewöhnlichen Ukrainer, die Millionen, die auf dem Gebiet leben, das sie für einen illusorischen Frieden eintauschen wollen“.

Tödliche russische Angriffe wurden auch aus der ostukrainischen Stadt Charkiw gemeldet. Bei russischen Bombardements seien nach vorläufigen Angaben vier Menschen getötet und sieben weitere verletzt worden, teilte Regionalgouverneur Oleg Sinegubow am Donnerstag via Telegram mit. Er rief die Bewohner auf, in Schutzräumen zu bleiben.

Auch in Charkiw gab es wieder Raketeneinschläge mit Toten und Verletzten
Auch in Charkiw gab es wieder Raketeneinschläge mit Toten und Verletzten Foto: AFP

Charkiw war zu Beginn des russischen Angriffskriegs vor gut drei Monaten schwer beschossen worden. Mitte Mai kehrte in der Stadt, in der vor dem Krieg etwa anderthalb Millionen Menschen gelebt hatten, aber relative Ruhe ein, weil Russland die Eroberung der Stadt aufgab und seine Truppen weiter in den Osten und den Süden der Ukraine verlegte. Nach AFP-Informationen hält die russische Armee aber immer noch Stellungen im Osten von Charkiw, die sie für Angriffe auf den Ostteil der Stadt sowie auf umliegende Dörfer nutzt.

EU-Pläne zur Oligarchen-Enteignung

In der EU beschlagnahmte Jachten und Villen von russischen Oligarchen werden verkauft und das Geld geht an die Ukraine: So könnte es laufen, wenn die Europäische Kommission mit ihren am Mittwoch in Brüssel vorgestellten Vorschlägen zur Beschlagnahmung von eingefrorenen Vermögenswerten russischer Oligarchen Erfolg hat. Die Pläne sehen eine Konfiszierung vor, wenn Oligarchen versuchen, die von der EU verhängten Sanktionen gegen Russland zu umgehen und Vermögen zu verstecken.
„Die EU-Sanktionen müssen eingehalten werden, und diejenigen, die sie zu umgehen versuchen, müssen bestraft werden“, erklärte Vizekommissionspräsidentin Vera Jourova am Mittwoch in Brüssel. Neben Oligarchen aus Russland geht es bei den Vorschlägen der Brüsseler Behörde auch um den Kampf gegen organisierte Kriminalität generell. Da derartige Beschlagnahmungen in einigen EU-Ländern rechtlich bislang nicht möglich sind, machte die Kommission einen weiteren Vorschlag. Konkret geht es darum, die Umgehung von EU-Sanktionen zur Straftat zu machen und europaweit einheitlich rechtlich belangen zu können. Dazu könnte laut den Kommissionsvorschlägen die Verheimlichung von Vermögenswerten oder die Aus- oder Einfuhr von Waren zählen, die unter Handelsverbote fallen. (dpa)