Afghanistan / NATO-Außenminister warnen die Taliban, Menschenrechtler berichten von Hinrichtungen
Der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zufolge kommt es außerhalb Kabuls zu „standrechtlichen Hinrichtungen“ durch die Taliban. Derweil versuchen die NATO-Außenminister, Druck auf die Radikalislamisten zu machen.
Der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) liegen nach eigenen Angaben Berichte über „standrechtliche Hinrichtungen“ durch die Taliban in Afghanistan vor. Bei den mutmaßlichen Opfern handele es sich um frühere afghanische Regierungsmitarbeiter und Sicherheitskräfte, sagte die Vizedirektorin für HRW in Asien, Patricia Gossman, am Freitag in einer Online-Schalte mit Journalisten. Das Ausmaß sei noch unklar. Viele dieser Vorfälle fänden den Erkenntnissen zufolge außerhalb der Hauptstadt Kabul in den afghanischen Provinzen statt. Die Taliban hatten nach ihrer Machtübernahme eine Amnestie zugesagt.
Die Vorsitzende der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission, Schaharsad Akbar, kritisierte das Chaos bei der Evakuierung von gefährdeten Afghanen. Es sei extrem schwierig, zum Flughafen in Kabul zu gelangen, sagte sie. Dort wiederum gebe es zu wenig Koordination zwischen den Nationen, die Menschen ausflögen, und denjenigen, die den Flughafen schützten. Ihre Organisation beispielsweise habe 90 hoch gefährdete Mitarbeiter identifiziert. 20 davon hätten Zusagen für Evakuierungsflüge bekommen. „Wir waren nicht in der Lage, auch nur eine einzige Person zu evakuieren.“
Akbar sagte weiter: „Die Befürchtung ist, dass der Flughafen, dass alles den Taliban überlassen wird und dass die Menschen der Gnade der Taliban ausgeliefert sein werden und dass es zu Massakern kommt, wenn die ausländischen, die westlichen Bürger evakuiert wurden.“ Sie fügte hinzu: „Wenn die USA den Abzug ihres gesamten Militärs planten, warum wurde das nicht besser gemacht? (…) Diese ganze Abzugssituation wurde von Anfang an schlecht gehandhabt.“
Die HRW-Direktorin in Washington, Sarah Holewinski, forderte Aufklärung von US-Präsident Joe Biden darüber, ob die US-Streitkräfte immer noch wie geplant am 31. August Kabul verlassen sollten. Wenn die Zahl der Evakuierungsflüge nicht dramatisch aufgestockt werden, würden bis dahin zahlreiche gefährdete Afghanen nicht ausgeflogen werden, sagte Holewinski. „Die Vereinigten Staaten haben eine moralische Verantwortung, ihnen zu helfen.“
Das westliche Militärbündnis NATO hat die radikalislamischen Taliban unterdessen aufgefordert, die laufenden Evakuierungen aus Afghanistan nicht zu behindern. „Wir erwarten von den Taliban, dass sie allen ausländischen Staatsangehörigen und Afghanen, die das Land verlassen wollen, die sichere Ausreise ermöglichen“, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Freitag nach einer Sondersitzung der Außenminister der NATO-Staaten. Es sei die „höchste Priorität“ des Bündnisses, Menschen in Sicherheit zu bringen.
Plant die NATO Lager in Polen und im Kosovo?
Maßgeblich dafür sei die Sicherheit am Kabuler Flughafen. Stoltenberg dankte insbesondere der Türkei, den USA und Großbritannien dafür, dass sie mit ihren Streitkräften den Betrieb des Flughafens aufrechterhalten. „Die größte Herausforderung besteht jedoch darin, sicherzustellen, dass die Menschen den Flughafen Kabul erreichen und betreten können.“
„Solange die Evakuierungsmaßnahmen andauern“, würden NATO-Truppen weiterhin am Flughafen im Einsatz sein, sagte Stoltenberg weiter. Wegen der derzeitigen Schwierigkeiten stehe auch eine Verlängerung des Einsatzes über den 31. August hinaus zur Debatte. Die Vertreter mehrerer Mitgliedstaaten hätten dies bei den Beratungen angesprochen, „damit mehr Menschen ausreisen können“.
Berichte, dass die NATO die Entsendung der Eingreiftruppe NATO Response Force (NRF) ab dem 1. September nach Afghanistan plane, bestätigte Stoltenberg zunächst nicht. Das Magazin Business Insider hatte unter Verweis auf interne NATO-Unterlagen berichtet, die NRF solle bei weiteren Evakuierungen helfen.
Dem Magazin zufolge geht aus den internen Unterlagen zudem hervor, dass die NATO die Einrichtung eines zentralen Sammelcamps für gerettete Helfer aus Afghanistan plane. Im Gespräch sei dafür die US-Militärbasis Bondsteel im Kosovo oder ein Lager in Polen. (dpa)
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