BelarusNächster Tag des Aufruhrs – der Generalstreik rückt näher

Belarus / Nächster Tag des Aufruhrs – der Generalstreik rückt näher
„Hau ab!“: Minenarbeiter haben sich den Protesten gegen Lukaschenko angeschlossen Foto: AFP/Sergej Gapon

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In Belarus rückt der Generalstreik näher und Präsident Lukaschenko gerät immer mehr unter Druck. Tausende Arbeiter zogen vor das Staatsfernsehen, verlangten die Freilassung aller Gefangenen sowie Neuwahlen.

Ein leeres Sofa, dahinter auf der Wand aufgemalte Kornblumen, das nette Symbol von Belarus. So präsentierte sich Lukaschenkos Propaganda-Fernsehsender „Belarus 1“ am Montagmorgen den Zuschauern. Das Bild fiel aus, die technische Belegschaft hatte sich also wie am Vortag angekündigt dem nationalen Streik angeschlossen. „Heute ist ein guter Tag, die Sonne scheint, wir mögen einander alle und können das alles friedlich lösen“, erklärte eine etwas verwirrte Nachrichtensprecherin.

Der Montag begann indes schlecht für den Autokraten Alexander Lukaschenko. Am Morgen schlossen sich die  exportorientierte Staatsfirma „Belruskali“ und die Rohölraffinerie „Naftan“ den Streiks an. Beide gelten als zentrale Devisenbeschaffer des Regimes. Zur Mittagszeit wurde klar, dass sämtliche Gruben die Erzförderung eingestellt haben und alle Hochöfen abgeschaltet worden sind.

Erst mal so tun, als sei nichts geschehen

Lukaschenko indes tat so, als sei nichts geschehen. Bei einem Besuch im Minsker Speziallastwagenwerk MSKT, das auch für die weißrussische Armee produziert, redete er die landesweiten Streiks klein. „150, 200 Personen machen noch kein Wetter. Wer arbeiten will, soll arbeiten. Wenn sie nicht arbeiten wollen, nun, wir werden sie nicht zwingen“, gab sich Lukaschenko großzügig. Er habe eine Überbelegung zugelassen, um Hunderte von Arbeitern nicht auf die Straße stellen zu müssen, erklärte der mit einem Hubschrauber ins Werk geflogene Autokrat. „Hau ab! Trete zurück!“, skandierte dagegen die versammelte Belegschaft.

Ich verstehe nicht, ich verstehe genauso wenig wie ihr —- Präsident Lukaschenko reagiert auf Arbeiter, die ihn ausbuhen

Wie zufällig wurde das Internet in Minsk zu diesem Zeitpunkt ausgerechnet wieder sehr instabil, die Verbindungen rissen ab. Später auf Telegram-Kanälen publizierte Bürgervideos zeigen einen reichlich ratlosen Lukaschenko: „Ich verstehe nicht, ich verstehe genauso wenig wie ihr“, sagt der Autokrat und fügt an, „Ja, schreit nur weiter“. Unbeirrt ließ sich Lukaschenko daraufhin noch ins Lastwagenwerk MAZ zu einem zweiten Treffen mit der Arbeiterschaft fliegen. Derweil zogen in Minsk bereits Tausende von Staatsbetriebsangestellten aus ihren Werken vor das Gebäude des Staatsfernsehens, die Propagandazentrale.

„Wahrheit! Freiheit! Lukaschenko vors Tribunal!“, skandierten sie und forderten die Freilassung der noch gut 5.000 in Untersuchungshaft sitzenden Demonstranten. Trotz entgegengesetzten Zusicherungen des Innenministeriums sind bisher erst rund 2.000 der insgesamt 7.000 festgenommenen Demonstranten freigelassen worden. Viele von ihnen weisen wüste Folterspuren auf. Volontäre der weißrussischen Menschenrechtsorganisation „Wiasna“ sind gerade dabei, die Misshandlungen durch Bilder und Zeugenaussagen zu dokumentieren.

Wie bereits am Wochenende herrschte nicht nur in Minsk, sondern auch in der Provinz eine fast ausgelassene Stimmung. Autos fuhren hupend mit der bisher von Lukaschenko verbotenen weiß-rot-weißen oppositionellen Landesflagge durch die Straßen. Doch mehren sich auch warnende Stimmen vor zu viel Übermut. Noch stehen alle Sicherheitsstrukturen hinter Lukaschenko. Einzig der von ihm Ende Mai abgesetzte Ex-Regierungschef Sergej Rumas veröffentlichte auf Instagram die Ansicht, friedlich zu demonstrieren sei ein verfassungsgemäßes Recht aller Weißrussen. Dies kann man als Aufkündigung der Loyalität verstehen.

Auf den Telegram-Kanälen wurden auch immer wieder Aufnahmen von angeblichen russischen Militärtechnik-Transporten auf dem Weg nach Belarus gepostet. Mehrere Oppositionelle im Land selbst zweifelten allerdings die Echtheit dieser Aufnahmen an. In der Oblast Grodno rund um das bald ans Netz gehende AKW Astrawets und entlang der Grenzen zu Litauen und Polen sind allerdings viertägige Manöver des weißrussischen Heeres angesagt worden.

Opposition will Stärke zeigen

Die zur Ausreise nach Litauen gezwungene Swetlana Tichanowskaja hat sich am Montagmorgen nicht wie erwartet offiziell zur Wahlsiegerin in den Präsidentschaftswahlen erklärt. Tichanowskaja erklärte sich indes bereit, nun die Verantwortung für die Geschicke des Landes übernehmen zu wollen. Dies ist ein wichtiges Signal vor allem für die EU-Diplomatie, die der weißrussischen Opposition Führungslosigkeit vorwirft. Sie unternehme alles, „damit sich mein Land beruhigt“, erklärte Tichanowskaja.

Als De-facto-Übergangspräsidentin wolle sie „die politischen Häftlinge freilassen und schnellstmöglich eine rechtliche und logistische Basis für neue Präsidentenwahlen schaffen – echte, faire und transparente Wahlen, die von der internationalen Gesellschaft klar anerkannt werden können“, versprach Lukaschenkos Herausforderin. Laut Tichanowskajas Wahlstab soll sie rund 70 Prozent der Stimmen bekommen haben, Lukaschenko indes knapp 14 Prozent. Am morgigen Mittwoch soll es einen EU-Sondergipfel zu Belarus geben.