DeutschlandMoria-Brand setzt Innenminister Seehofer unter Druck – die Koalition ist gespalten

Deutschland / Moria-Brand setzt Innenminister Seehofer unter Druck – die Koalition ist gespalten
Nach dem verheerenden Feuer im griechischen Flüchtlingslager Moria kam es quer durch Deutschland zu Demonstrationen gegen die Flüchtlingspolitik der EU und für die Aufnahme der Geflüchteten in Deutschland Foto: dpa/Boris Roessler

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

In der Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem zerstörten Lager Moria ist Deutschlands Innenminister Horst Seehofer unter starken Druck geraten.

Kommt die Rede auf Horst Seehofer, sagen die einen, der Innenminister tauche gerne mal ab, erledige nur das Nötigste. Andere ergänzen dann ketzerisch, das sei auch besser so. Seehofer hat in der Koalition derzeit einen schweren Stand, auch in den eigenen Reihen. Die Brandkatastrophe im Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos hat den Minister nun schlagartig zurück ins Rampenlicht gebracht. Der weitere Umgang mit den dortigen Flüchtlingen dürfte die nächste große Auseinandersetzung für ihn werden.

Dass für den mittlerweile 71-jährigen Bayern nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr Schluss ist, hat er bereits selbst angekündigt. Dass er vorher von seinem Intimfeind, Parteichef Markus Söder, noch abberufen werden könnte, glaubt inzwischen keiner mehr – obwohl Söder lange Zeit auf eine Kabinettsumbildung in Berlin gedrängt hatte. Doch das war vor Corona. Und aus der CSU ist mittlerweile zu hören, nach den Scharmützeln der Vergangenheit zwischen ihm und seinem Vorgänger wolle Söder nicht den Eindruck des Nachkartens erwecken. Das Verhältnis der beiden habe eine sachliche Ebene erreicht.

Seehofer selbst war mit Beginn der Corona-Krise sozusagen aus der Öffentlichkeit verschwunden, bewusst, wie es heißt. 2002 sprang er nach einer Viruserkrankung dem Tod von der Schippe, deswegen die besondere Vorsicht. Als Corona beherrschbar wurde, absolvierte Seehofer Pflichttermine wie die Vorstellung diverser Berichte der Sicherheitsbehörden. Sieht man mal von der Auseinandersetzung um eine Taz-Kolumne über Polizisten ab, die ihn bis heute umtreibt. Auch sah man hin und wieder Fotos von Seehofer, zum Beispiel, wie er per Video mit anderen EU-Innenministern konferierte. Aber neue Impulse? Weitgehend Fehlanzeige. Zwischendurch räumten selbst Unionsfreunde zerknirscht ein: „Ich erreiche ihn auch nicht.“

Seit fünf Jahren holt ihn das Thema ein

Nun ist Seehofer wieder gefordert. Denn mit dem Brand in Moria haben sich die Blicke erneut auf die Zustände in dem Flüchtlingslager gerichtet, in dem vor der Katastrophe rund 13.000 Menschen unter schlimmen Bedingungen leben mussten. Er muss handeln. Seit nunmehr fünf Jahren holt ihn das Thema Flüchtlinge immer wieder ein. Er war als CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident Gegner der Politik der Kanzlerin, als die Flüchtlingskrise 2015 begann. Der Streit um Zurückweisungen an den Grenzen führte 2018 sogar fast zum Bruch der Fraktionsgemeinschaft der Unionsparteien. Doch der Bajuware gab klein bei. In den letzten Monaten nahm er dann auch einen eigenen Kurswechsel vor: Er agierte moderater, keine starken Worte mehr; der CSU-Mann setze sich sogar für Bootsflüchtlinge und besonders Schutzbedürftige ein. Im Ruhestand will Seehofer nun seine Memoiren schreiben – das Kapitel Flüchtlinge dürfte pikant werden.

Druck bekommt der Innenminister jetzt von vielen Seiten, seine ablehnende Haltung aufzugeben und Menschen aus dem abgebrannten Camp rasch nach Deutschland zu holen, zumal die Bereitschaft zur Aufnahme bei mehreren Bundesländern da ist. Die SPD wirft ihm „Aussitzen und Teilnahmslosigkeit“ vor. „Die Blockade können wir nicht weiter hinnehmen“, so Innenexperte Dirk Wiese. Seehofer müsse jetzt umgehend den Weg frei machen für eine Kontingentlösung auf Bundesebene, „damit aufnahmebereite Bundesländer und Kommunen sofort gemeinsam helfen können“.

Selbst aus der Union wurde Seehofer inzwischen von 16 Abgeordneten per Brief aufgefordert, er solle gemeinsam mit anderen EU-Ländern – „aber notfalls auch alleine“ – 5.000 anerkannte Flüchtlinge nach Deutschland holen. Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum, warnte freilich: „Ein deutscher Alleingang wäre verkehrt.“ Innenminister Seehofer müsse auf seine Amtskollegen einwirken, damit sich möglichst viele EU-Staaten an der Aufnahme beteiligten. „Wir brauchen eine europäische Lösung, bei der jene Staaten, die helfen, aus dem EU-Haushalt dafür entschädigt werden“, so Krichbaum zum Tageblatt. Die Moria-Krise spaltet nun die große Koalition und die Union. Sie ist Seehofers nächste große Herausforderung in der Flüchtlingsfrage. Er muss raus aus der Defensive, ob er will oder nicht.