RusslandLockerung bei zunehmender Anzahl an Infizierten

Russland / Lockerung bei zunehmender Anzahl an Infizierten
In Moskau herrscht seit gestern, wie hier in der U-Bahn, Maskenpflicht Foto: AFP/Kirill Kudryavtsev

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Seit dem gestrigen Dienstag gehen die Russen wieder arbeiten. Der Corona-Urlaub ist nach knapp sechs Wochen beendet. Das kündigte Präsident Wladimir Putin am Vortag in seiner letzten Quarantäne-Ansprache im nationalen Fernsehen an.

Nichts gehe auf Anhieb, meinte der russische Staatschef. Zunächst solle „überall dort, wo es geht, die Funktion von Basiszweigen der Volkswirtschaft wiederhergestellt werden“. Gemeint waren die Baubranche, die Industrie, die Landwirtschaft, Fernmeldeeinrichtungen, Energiewirtschaft und die Förderung von Bodenschätzen, sprich: Öl und Gas. Das alles „natürlich unter Einhaltung der sanitären Normen“. Die regionalen Leiter behalten zwar weiter das Recht, bei Bedarf die Aktivitäten von Unternehmen einzuschränken oder diese sogar wieder stillzulegen. Diese lokalen Behörden müssen dann aber die Verantwortung für die Folgen solcher Schritte übernehmen. Einfach sei es nicht. Was ihnen bevorstehe, sei wie eine Durchfahrt zwischen den tödlichen Felsen Szilla und Charybdis, so Putin.

Dabei gilt Russland, laut Angaben der Johns Hopkins University, mittlerweile als das Land mit den weltweit zweithöchsten Fallzahlen hinter den USA. 232.243 Infizierte (Stand 16 Uhr) wurden bis gestern gezählt, Tendenz weiterhin stark steigend. Die 2.116 angegebenen Corona-Toten können als unglaublich geringe Zahl erachtet werden. In den nächst platzierten Ländern Spanien, Großbritannien und Italien sind bei einer annähernd gleichen Anzahl an Infizierten mindestens zehnmal so viele Corona-Tote zu beklagen.

Die Epidemie habe Löcher in die Taschen vieler Bürger gerissen, sagte der Präsident. Die Zeit sei gekommen, ihnen unter die Arme zu greifen. Was der Präsident ankündigte, war für sie allerdings enttäuschend. Kinderreiche Familien, denen er bereits höheres Kindergeld in Aussicht gestellt hatte, sollen noch stärker unterstützt werden. So wird ab kommendem Juni für jedes Kind im Alter zwischen drei und 16 Jahren eine einmalige Zahlung in Höhe von 10.000 Rubel (125 Euro) vorgenommen. Profitieren sollen davon laut Putin landesweit 27 Millionen Kinder. Weitere Sozialhilfen gehen vorwiegend an minderbemittelte Familien sowie an Arbeitslose, deren Anzahl sich in Russland seit Anfang April auf 1,4 Millionen verdoppelt haben soll. Die Bürger hatten sich aber viel höhere Geldhilfen nach dem Vorbild der USA und Europas vorgestellt.

Keine Steuern zahlen

Putin versicherte, dass „Direktsubventionen“ zur Unterstützung von vier Millionen Beschäftigten in kleinen und mittelständischen Unternehmen geplant seien. Außerdem werde ein „Kreditprogramm für sieben Millionen Arbeitsplätze“ aufgelegt, womit ein Mindestlohn von 12.310 Rubel (154 Euro) pro Beschäftigtem für sechs Monate ausgezahlt werden soll. Damit soll ein Teil der Verluste im April und Mai ausgeglichen werden. Die Rückzahlung dieser Billigkredite soll bis 1. April 2021 bei einem Zins von zwei Prozent erfolgen. Die 85-prozentige Garantie des Staates macht diese Kredite für Unternehmen besonders attraktiv. Außerdem werden Kredite für Unternehmen, denen es gelingt, 90 Prozent ihres Personals weiterzubeschäftigen, samt Zinsen abgeschrieben. Bei 80-prozentiger Beschäftigung kann die Hälfte der Summe abgeschrieben werden.

Laut Putin brauchen Unternehmen auch keine Steuern für das zweite Quartal 2020 (April, Mail und Juni) zu zahlen. Freilich wären sie dazu gar nicht in der Lage, selbst wenn sie es wollten, denn sie haben bisher noch keinen müden Rubel verdient. Üppig ist das, was der Staat dem Bürger an Hilfe bietet, sicher nicht.
„Wir fangen an, Schritt für Schritt, sehr behutsam, bestehende Beschränkungen abzustreifen“, sagte der russische Präsident. In einigen Gebieten und Betrieben blieben sie noch länger bestehen. Manchmal glaube man, sie nicht länger ertragen zu können. Restriktionen seien aber allemal besser als Ansteckung und Krankheit, so Putin.

Der Moskauer Oberbürgermeister Sergej Sobjanin hatte versucht, die Einführung eines Ausnahmezustandes in der russischen Hauptstadt ab Mitte Mai durchzusetzen, scheiterte damit jedoch am Kreml. Trotzdem begann die „Lockerung“ in Moskau gestern mit einer Verschärfung der Regeln. Ab sofort gilt in der Hauptstadt eine Maskenpflicht. Wer in der Öffentlichkeit ohne Mundschutz oder Handschuhe erwischt wird, muss mit einer empfindlichen Geldstrafe rechnen. Die „Selbstisolierung“ wurde in der Stadt und im Großraum Moskau bis Ende Mai verlängert. Alle Kultureinrichtungen, Parks, Friseurläden und Gaststätten bleiben geschlossen. Wer eine Fahrt mit dem Auto unternehmen will, muss dafür eine Genehmigung einholen. Der als Hardliner geltende OB Sobjanin drohte, die Zahl der genehmigten Fahrten sogar zu reduzieren. Wegen seines harten Kurses in der Krise schwindet die Beliebtheit des Bürgermeisters in der Bevölkerung.