Von der Verzweiflung der Frauen in Afghanistan„Ich möchte unsichtbar werden und mich vor der Welt verstecken“

Von der Verzweiflung der Frauen in Afghanistan / „Ich möchte unsichtbar werden und mich vor der Welt verstecken“
Inzwischen schlaflos: Die 22-jährige Aischa Churram war 2019 noch Jugendvertreterin bei den Vereinten Nationen Foto: AFP/Wakil Koshar

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Die Geschichte wiederholt sich – und das rasend schnell. Nach dem Siegeszug der Taliban sehen vor allem Afghanistans Frauen einem ungewissen Schicksal entgegen. Die Verzweiflung ist groß.

Seit der Machtübernahme durch die radikalislamischen Taliban kann die Afghanin Aischa Churram nicht mehr schlafen. Der Lärm von Evakuierungsflugzeugen und Schüsse durchbrechen die Nacht in Kabul. Churram liegt schlaflos da und denkt über den Tag nach, der ein dramatischer Wendepunkt im Leben der Frauen und Mädchen in Afghanistan sein dürfte.

Wie zahlreiche weitere Afghaninnen blickt Churram einer ungewissen Zukunft entgegen. Die 22-Jährige steht kurz vor ihrem Hochschulabschluss an der Universität von Kabul, zuvor war sie Jugendvertreterin bei den Vereinten Nationen. Diese Möglichkeiten bleiben ihr als Frau künftig höchstwahrscheinlich verwehrt. „Es ist ein Alptraum für gebildete Frauen, die sich eine bessere Zukunft für sich selbst und die kommenden Generationen erhofft haben“, sagt Churram.

Auch internationale Beobachter sorgen sich um das Schicksal der Frauen in Afghanistan. Die Taliban begehen nach UN-Informationen schwere Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung. „Besonders entsetzlich und herzzerreißend“ seien Berichte, „wonach den afghanischen Mädchen und Frauen ihre hart erkämpften Rechte entrissen werden“, sagte UN-Generalsekretär António Guterres schon am Freitag.

Bald wieder Steinigungen?

Die Hilfsorganisation „Terre des Hommes“ befürchtet Racheaktionen der Taliban an afghanischen Partnerorganisationen, die sich in den vergangenen Jahren für Frauenrechte eingesetzt haben. Afghanische Menschenrechtsaktivisten dürften nicht im Stich gelassen werden, forderte „Terre des Hommes“.

In den Wochen vor ihrer Machtübernahme hatten die Taliban sich zwar bemüht, ihre bevorstehende Herrschaft in ein besseres Licht zu rücken. Die Bürger sollten sich nicht an die letzte Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001 erinnert fühlen. Für viele Afghaninnen ist das ein schwacher Trost: Sie rechnen fest damit, dass die Geschichte sich wiederholen wird und sie ihre in den vergangenen beiden Jahrzehnten errungenen Rechte wieder verlieren werden.

Bis zu ihrem Sturz im Jahr 2001 verbannten die Taliban Mädchen und Frauen aus Schulen und Universitäten und verboten es ihnen, einen Beruf auszuüben. Frauen durften das Haus nur noch mit einem männlichen Begleiter verlassen, in der Öffentlichkeit war eine vollständige Verschleierung vorgeschrieben. Auf öffentlichen Plätzen und in Stadien fanden Auspeitschungen und Hinrichtungen statt, mutmaßliche Ehebrecherinnen wurden zu Tode gesteinigt.

Nach dem Sturz der Taliban mussten sich die Afghaninnen ihre Rechte mühsam erkämpfen. In vielen ländlichen Regionen wurden sie weiterhin unterdrückt und vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. In den Städten änderte sich das Bild jedoch: Zahlreiche Frauen besuchten Universitäten und traten hochrangige Posten in der Politik, im Journalismus oder in der Justiz an.

Seit der Übernahme Kabuls durch die Islamisten am Sonntag haben sich viele dieser prominenten Frauen im Kurzbotschaftendienst Twitter zu Wort gemeldet und ihre Angst, Verzweiflung und Enttäuschung zum Ausdruck gebracht. „Ich beginne meinen Tag mit einem Blick auf die leeren Straßen von Kabul“, schreibt die Rechtsaktivistin und Politikerin Fausia Koofi, die als stellvertretende Parlamentssprecherin arbeitete. „Die Geschichte wiederholt sich so schnell.“

„Die Angst sitzt in deiner Brust wie ein schwarzer Vogel“, beschreibt die Universitätsprofessorin Muska Dastageer ihre Verzweiflung. „Er öffnet seine Flügel und man kann nicht atmen.“ Die Twitter-Seite der bekannten Fotografin Rada Akbar zieren Emojis von gebrochenen Herzen. „Mein geliebtes Afghanistan ist vor meinen Augen zusammengebrochen“, schreibt die 33-Jährige.

Eine von Akbars jüngsten Fotografien hat traurige Berühmtheit erlangt: Darauf ist ein Mann zu sehen, der Werbefotos von lächelnden Bräuten vor einem Friseursalon übermalt. „Er entfernt Frauen aus dem öffentlichen Raum“, sagt Akbar. Bereits zu Jahresbeginn war die junge Fotografin wegen ihrer Bilder, die die mächtigsten Frauen des Landes zeigten, bedroht worden. Nun rechnet sie mit dem Schlimmsten: „Ich möchte unsichtbar werden und mich vor der Welt verstecken.“ (AFP)