BelarusGefechtsbereit an der Westgrenze: Lukaschenko misstraut besonders Litauen und Polen

Belarus / Gefechtsbereit an der Westgrenze: Lukaschenko misstraut besonders Litauen und Polen
Sieht Belarus umzingelt von Feinden: Staatschef Alexander Lukaschenko Foto: dpa/BeITA Pool/Andrei Stasevich

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Als die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja in Belarus unter Druck geriet, floh sie nach Litauen. Das Baltenland und Polen leisten seit Langem aktive Hilfe für Andersdenkende in Lukaschenkos Reich. Der Staatschef wittert bei den Nachbarn die Drahtzieher der Proteste.

Staatschef Alexander Lukaschenko sieht Belarus umzingelt von Feinden. Die Armee an der Westgrenze seines Landes ließ er am Dienstag in volle Gefechtsbereitschaft versetzen. „Wir haben nicht nur innen, sondern auch außen Probleme“, begründete er diesen Schritt. Glaubt man dem Präsidenten, dann steht das Ausland auch hinter den Massenprotesten gegen sein Regime. „Litauen, Polen und die Ukraine befehlen uns, Neuwahlen abzuhalten“, sagte Lukaschenko am Wochenende in Minsk bei einer Kundgebung von eilig herbeigekarrten Unterstützern.

Besonders auf Polen und Litauen hat sich „Europas letzter Diktator“ eingeschossen. Litauen steht im Rampenlicht, seit Lukaschenkos Herausforderin Swetlana Tichanowskaja nach der Präsidentenwahl dort Exil fand. Und es war Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, der mit Tschechiens Regierungschef Andrej Babis den EU-Sondergipfel zu Belarus anregte. Der Gipfel findet am Mittwoch statt.

Verbunden über gemeinsame Geschichte

Polen und Litauen – beide Mitglieder in EU und NATO – engagieren sich seit Langem für die Zivilgesellschaft in Belarus. Die Länder verbindet eine gemeinsame Geschichte. Das Gebiet des heutigen Belarus wurde im 14. Jahrhundert vom Großfürstentum Litauen erobert, später war es Teil des polnisch-litauischen Doppelstaates. Erst mit den Teilungen Polens Ende des 18. Jahrhunderts kam es unter russische Herrschaft. Auch zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg war ein Teil des heutigen Belarus zeitweise wieder Polen angegliedert.

Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja musste nach Litauen fliehen und wendet sich von dort aus an ihre Unterstützer
Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja musste nach Litauen fliehen und wendet sich von dort aus an ihre Unterstützer Foto: dpa/AP/Sviatlana Tsikhanouskaya Campaign Office

Bis heute gibt es in Belarus eine polnische Minderheit. In dem Land mit 10 Millionen Einwohnern wird sie auf knapp 300.000 Menschen geschätzt. Polen finanziert seit 2007 den Fernsehsender Belsat. „Aus dem Etat des öffentlich-rechtlichen polnischen Fernsehsenders TVP bekommen wir in diesem Jahr 41 Millionen Zloty“, sagt Direktorin Agnieszka Romaszewska-Guzy. Umgerechnet sind das 9,4 Millionen Euro.

Polen fördert außerdem die Ausbildung von jungen Menschen, denen in Belarus ein Studium verwehrt wird. Nach Auskunft des Hochschulministeriums gibt es derzeit 46 Stipendiaten, das jährliche Budget für das Programm beträgt knapp eine halbe Million Euro.

Die Hilfe soll nun ausgeweitet werden. Polens Regierungschef Morawiecki hat ein Paket im Umfang von umgerechnet 11,5 Millionen Euro angekündigt. Damit sollen unabhängige Medien und Nicht-Regierungsorganisationen in Belarus finanziert werden. Polen will aber auch politisch Verfolgten helfen – und Demonstranten, die von der Polizei misshandelt wurden.

Litauens Botschafter in Belarus legt in Minsk zum Andenken an einen getöteten Demonstranten Blumen nieder
Litauens Botschafter in Belarus legt in Minsk zum Andenken an einen getöteten Demonstranten Blumen nieder Foto: AFP/Sergei Gapon

Litauen hat seine Einreisebestimmungen für Bürger des Nachbarlandes bereits gelockert, die ersten machen schon von der Ausnahmeregelung aus humanitären Gründen Gebrauch. Die kleine Baltenrepublik ist ein Hoffnungsträger für die Opposition in Lukaschenkos Reich geworden. „Litauen – Hilfe!“ – diesen Hilferuf sprühten Passanten gleich in der ersten Protestnacht auf eine Litfaßsäule in der Innenstadt von Minsk.

Lautstark und unmissverständlich prangert Litauen die Gewalt und das Vorgehen der autoritären Führung in Minsk an und drängt auf ein entschlossenes Handeln der EU. Längst hat Außenminister Linas Linkevicius dabei seine diplomatische Zurückhaltung abgelegt.

Hort der Opposition im Ausland

Litauen hat sich als Hort der belarussischen Opposition etabliert. Die Hauptstadt Vilnius liegt nur 40 Kilometer von der Grenze entfernt. Dort angesiedelt haben sich belarussische Nicht-Regierungsorganisationen, die der Bespitzelung durch Lukaschenkos Geheimdienst KGB entfliehen wollen. Vilnius ist auch Standort der Europäischen Humanistischen Universität (EHU), die 2004 von Lukaschenko in Belarus geschlossen wurde. Seitdem haben rund 2.000 Studenten die private Hochschule absolviert – gut 95 Prozent davon Belarussen. Litauen stellt die Räumlichkeiten und leistet finanzielle Unterstützung – für 2020 sind gut 280.000 Euro vorgesehen. Unterstützt wird die Universität auch von Organisationen aus den USA und der EU.

Trotz dieses Engagements von Polen und Litauen sei die Motivation hinter Lukaschenkos antiwestlicher Rhetorik durchsichtig, sagt der belarussische Politologe Pawel Usow, der als Dozent in Warschau lehrt. „Wenn Russland plötzlich zu einer Gewaltlösung ansetzt, dann wäre dies nicht ein Einsatz gegen das Volk in Belarus, sondern gegen den Westen, der die Situation in dem Land destabilisieren will.“ Mit diesem Argument wolle Lukaschenko das Establishment in Moskau überzeugen, weiter an ihm festzuhalten.