EU erwägt Brexit-Verschiebung um zwei Monate

EU erwägt Brexit-Verschiebung um zwei Monate

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Ist das Chaos bei einem ungeregelten Austritt Großbritanniens aus der EU noch zu verhindern? Die EU startet auf ihrem Gipfel einen neuen Versuch. Ausgang – wie immer – völlig offen.

Die Europäische Union erwägt eine Verschiebung des Brexits vom 29. März auf den 22. Mai, falls das britische Parlament nächste Woche den Austrittsvertrag doch noch billigt. Dieses Datum sei beim EU-Gipfel offiziell vorgeschlagen worden, sagten EU-Diplomaten während der noch laufenden Verhandlungen in Brüssel. Eine Einigung auf diese Lösung sei nicht unwahrscheinlich.

Die britische Premierministerin Theresa May hatte einen deutlich längeren Aufschub erbeten – bis zum 30. Juni. Die EU-Kommission hatte jedoch Bedenken erhoben. Bei einer so langen Verschiebung müsste Großbritannien an der Europawahl teilnehmen, hieß es in einer internen Bewertung der Brüsseler Behörde. Die Wahl ist für den 23. bis 26. Mai angesetzt.

Zustimmung vorausgesetzt

Voraussetzung für die debattierte Fristverlängerung ist nach Darstellung der Diplomaten, dass das britische Unterhaus nächste Woche den EU-Austrittsvertrag billigt. Die Abgeordneten hatten das Vertragspaket allerdings schon zweimal abgelehnt. Für kommenden Montag setzte das Parlament in London eine weitere Debatte über den Brexit an. Ob und wann zum dritten Mal abgestimmt wird, blieb aber zunächst offen.

Etliche der Gipfelteilnehmer stellten klar, dass sie dafür offen sind – aber nur unter der Voraussetzung, dass das britische Parlament den Vertrag in den nächsten Tagen doch noch annimmt. Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz sagte: „Ich gehe davon aus, dass wir uns heute auf ein Ja zu einer Verschiebung einigen können, natürlich nicht unter allen Umständen, aber insbesondere dann, wenn es auch eine Zustimmung im britischen Parlament gibt.“

Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte, bei einem erneuten Nein des britischen Parlaments steuere man auf einen ungeregelten Brexit zu – es sei denn, es gäbe in Großbritannien einen tiefgreifenden politischen Kurswechsel. Wie dieser aussehen könnte, ließ er offen. Denkbar wären ein zweites Referendum, eine Neuwahl oder ein Rücktritt Mays. Sollte das Unterhaus in den nächsten Tagen nicht zustimmen, gäbe es wohl einen Krisengipfel kurz vor dem Brexit-Tag nächsten Freitag. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagte: „Dann müssen wir zurückkommen.“

Geregeltes Ausscheiden aus der EU

Der Brexit-Vertrag regelt auf knapp 600 Seiten fast alle rechtlichen Fragen der Trennung, darunter Aufenthaltsrechte der 3,5 Millionen EU-Bürger in Großbritannien, die britischen Schlusszahlungen an die EU und die Frage, wie die Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Staat Irland offen bleiben kann. Fällt das alles weg, herrscht rechtliche Unsicherheit. Zudem müssten Zölle erhoben und die Grenzen kontrolliert werden. Befürchtet werden dann lange Staus, unterbrochene Lieferketten und eine Konjunkturdelle.

May bekräftigte in Brüssel, sie hoffe immer noch auf ein geregeltes Ausscheiden aus der EU. Doch wollte auch sie auf mehrfache Nachfrage einen sogenannten No-Deal-Brexit nicht ausschließen. „Was jetzt zählt ist, dass wir erkennen, dass der Brexit die Entscheidung des britischen Volks ist“, sagte May. „Wir müssen ihn umsetzen.“ Sie appellierte vor allem an ihr eigenes Parlament, sich endlich zu entscheiden. Die britischen Wähler hatten sich im Juni 2016 mit knapper Mehrheit in einem Referendum für den EU-Austritt entschieden.

Der britische Oppositionsführer Jeremy Corbyn versuchte in Brüssel, die EU für seine eigene Brexit-Version zu gewinnen. Nach ernsthaften Gesprächen mit britischen Abgeordneten aller Parteien halte er es für möglich, noch vor der Europawahl einen Deal über engere wirtschaftliche Beziehungen mit der EU zu vereinbaren, erklärte Corbyn: „Es ist Zeit, dass Abgeordnete zusammenarbeiten und einen Konsens finden, der durchs Parlament geht.“ Corbyn lehnt den von May ausgehandelten Brexit-Pakt ab, auf dem die EU beharrt. Eigentlich wollten sich die EU-Staats- und Regierungschefs mit ganz anderen Themen befassen, darunter das Verhältnis zu China, Industriepolitik, Klimaschutz und die Stärkung des Binnenmarkts.