Debatte in BrüsselDie EU-Parlamentarier feiern ihren Erfolg in den Haushaltsverhandlungen

Debatte in Brüssel / Die EU-Parlamentarier feiern ihren Erfolg in den Haushaltsverhandlungen
EP-Parlamentspräsident David Sassoli gab gestern Erklärungen zur Haushaltseinigung mit dem EU-Rat Foto: AFP/Yves Herman

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Das Europäische Parlament (EP) feierte sich gestern selbst, nachdem seine Vertreter am Vortag die Verhandlungen mit dem Rat über den mehrjährigen EU-Haushaltsplan für die Jahre 2021-2027 erfolgreich abschließen konnten. Die Einigung wurde während einer Debatte im EP in Brüssel immer wieder als „historisch“ bezeichnet.

Die überwältigende EU-Parlamentarier waren gestern hochzufrieden mit dem, was sie in den Verhandlungen mit den Vertretern der Mitgliedstaaten, die am Vortag abgeschlossen wurden, erreicht hatten. Selbst der stets kritische Ko-Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Philippe Lamberts, zeigte sich „stolz“ über den Verlauf der Verhandlungen, in denen sich „die Logik des Kompromisses durchgesetzt“ habe. Bereits im Vorfeld der Debatte ging EP-Präsident David Sassoli eingehend auf das von den EP-Abgeordneten gegenüber dem EU-Rat Erreichte ein. Der Italiener hob vor allem die Einigkeit zwischen den Fraktionen hervor, die zum Erfolg des Parlaments mit beigetragen hätte.

Im Juni hatten die 27 EU-Staats- und Regierungschefs während eines tagelangen Gipfeltreffens ein rund 1.800 Milliarden Euro schweres Finanzpaket geschnürt, das zum einen aus dem mehrjährigen EU-Haushalt besteht, zum anderen aus einem 750 Milliarden Euro umfassenden Wiederaufbaufonds, mit dem die Wirtschaft in den am meisten unter der Corona-Pandemie leidenden EU-Staaten wieder angekurbelt werden soll. Da das EP in Budgetfragen mitentscheidet, mussten dessen Forderungen in den Kompromiss der 27 mit eingebunden werden. Bereits vorige Woche einigten sich die beiden auf einen sogenannten Rechtsstaatsmechanismus, nach dem Mitgliedstaaten EU-Gelder vorenthalten werden, wenn sie gegen EU-Grundwerte der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verstoßen.

Rechtsstaatsprinzipien einhalten

Der luxemburgische EP-Abgeordnete Marc Angel begrüßte es, dass sich das EP „nicht von einigen autokratischen Regierungen hat erpressen lassen“, wobei er wohl die ungarische und polnische Regierungen im Blick hatte, die strikt dagegen sind, dass künftig die Auszahlung von EU-Geldern an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit gebunden wird. Vor allem der ungarische Regierungschef Viktor Orban hat bereits angedroht, dass er aus diesem Grund die Verabschiedung des mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) im Rat blockieren werde. Deshalb forderte die liberale EP-Abgeordnete Sophia In’t Veld, dass „das System geändert wird“. „Es kann nicht sein, dass ein einziger Autokrat die gesamte EU als Geisel nimmt“, ärgerte sich die Niederländerin. Im Rat sind es vor allem die Benelux-Staaten, die auf einen funktionierenden Rechtsstaatsmechanismus in Verbindung mit dem EU-Budget pochen.

Zufrieden sind die Volksvertreter auch darüber, dass es ihnen gelungen ist, weitere 16 Milliarden Euro für den EU-Haushalt herauszuholen. Bei den letzten Verhandlungen vor sieben Jahren hätten die EU-Staaten keinen einzigen Euro mehr bezahlt, sagte die französische EP-Abgeordnete Valérie Hayer, die an den Verhandlungen beteiligt war. Die liberale „Renew“-Politikerin hob hervor, dass das Haushaltsvolumen für die Gesundheitspolitik mit zusätzlichen 3,4 Milliarden Euro verdreifacht wurde. Zusätzliche Gelder werden unter anderem in die Forschung im Rahmen von „Horizon Europe“ (plus vier Milliarden Euro) fließen; weitere 2,2 Milliarden Euro in das Förderprogramm für Studenten, Erasmus; eine Milliarde Euro mehr für die Nachbarschaftspolitik und Entwicklungshilfe und weitere 500 Millionen Euro in die humanitäre Hilfe, die beide vermutlich hauptsächlich afrikanischen Staaten zugutekommen werden.

Neue Eigenmittel

Und ein Weiteres haben die EU-Parlamentarier in den Verhandlungen mit dem Rat erreicht: Die EU wird erstmals seit 50 Jahren, wie Valérie Hayer bemerkte, neue Eigenmittel erhalten. Diese werden bereits seit langem vom Parlament gefordert, bislang erfolglos. Auch bei den Verhandlungen vor sieben Jahren war das eine der großen Forderungen der EP-Abgeordneten gegenüber dem Rat. In der Vergangenheit sei es so gewesen, „dass das Parlament große Töne spuckte“, dann aber gegenüber dem Rat nachgab, sagte gestern Philippe Lamberts. Dieses Mal sei es aber nicht so.

Die EU-Parlamentarier legten den Rat auf einen rechtsverbindlichen Zeitplan fest, der Folgendes vorsieht: Bereits im kommenden Jahr soll eine Abgabe für nicht-recycelbare Kunststoffe eingeführt werden. Im Jahr 2023 sollen zusätzliche Gelder aus dem CO2-Emissionshandel, „möglicherweise verbunden mit einem CO2-Grenzausgleichssystem“, in die EU-Kasse fließen, wie es in einer EP-Mitteilung heißt. Das bedeutet, dass der Import von Produkten aus bestimmten Sektoren in die EU mit einer CO2-Steuer belegt wird. Die EU-Kommission hat bereits im Rahmen einer Reform der Energiebesteuerung in der Union eine öffentliche Konsultation auch über die Einführung einer solchen Abgabe eingeleitet. Diese Reform sowie die neue Steuer sollen dazu beitragen, die EU-Klimaziele zu erreichen. Die EU-Parlamentarier sorgten nun dafür, dass die Einnahmen in den EU-Haushalt fließen. Ab Januar 2023 soll auch die bereits viel diskutierte Digitalsteuer, von der vor allem große US-Internetfirmen betroffen sein werden, eingeführt werden. Spätestens 2026, so die Vereinbarung weiter, soll die umstrittene Finanztransaktionssteuer erhoben werden, der Luxemburg bislang skeptisch gegenüberstand. Die Einnahmen aus all diesen neuen Abgaben sollen in die „Rückzahlung der Schulden für die Finanzierung des Aufbaufonds“ fließen, d.h. jenen 750 Milliarden Euro, die die Kommission für den Fonds an den internationalen Finanzmärkten aufnehmen will.

Im Europäischen Parlament wird die Einigung über den MFR mit dem EU-Rat noch Abstimmungen im Haushaltsausschuss sowie im Plenum durchlaufen müssen, was angesichts des Resultats kein Problem sein dürfte. „Der Rat muss dafür sorgen, dass der Zug, der unterwegs ist, auch ankommt“, meinte gestern der EP-Verhandlungsführer Johan Van Overtveldt von der Fraktion der Konservativen und Reformer. Denn auch die EU-Mitgliedstaaten müssen dem Kompromiss noch zustimmen. Dann wird sich auch zeigen, ob Orban seine Drohung wahr macht.