EU-Ratspräsidentschaft / Corona-Krise zwingt Berlin zu Pflichtprogramm
„Krisen waren in der EU von jeher auch eine Chance, Gegebenes zu hinterfragen und sich noch besser für die Zukunft zu rüsten.“ Dieser Satz leitet das Programm der am 1. Juli beginnenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft ein. Dementsprechend sind die Veränderungen an der ursprünglichen Arbeitsplanung für die kommenden sechs Monate in der EU ausgefallen.
Statt der „Kür“ deutscher Anliegen mit einer Vielzahl von Einzelprojekten, die deutsche Ministerien verfolgen wollten, dominiert nun ein 26-seitiges Pflichtprogramm. Vor allem die Corona-Krise drückt der deutschen Präsidentschaft ihren Stempel auf.
„Mit der Corona-Pandemie steht die Europäische Union vor einer schicksalshaften Herausforderung“, heißt es in dem Text. Das erinnert an die letzte deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2007, als die EU nach gescheiterten Verfassungs-Referenden schon einmal am Ende zu sein schien. Jetzt betont die Bundesregierung, dass Corona die EU in den Grundfesten erschüttert habe. „Nur wenn wir das Coronavirus nachhaltig eindämmen, in die europäische Wirtschaft investieren, unser Innovationspotential ausschöpfen und den sozialen Zusammenhalt stärken, können die EU und ihre Mitgliedstaaten die Krise dauerhaft und wirksam überwinden“, heißt es in dem Dokument.
Die ganze Arbeit der kommenden sechs Monate wird in den Dienst der Überwindung dieser Krise gestellt: Europa solle „technologisch souverän“ werden und sich für weitere Krisen wappnen, heißt es. Teilweise werden Vorhaben aber auch nur umdeklariert: So erklärt das Wirtschaftsministerium die ohnehin angestrebte Reform des EU-Wettbewerbs- und Beihilferechts nun als Beitrag dafür, dass die EU aus der Corona-Krise gestärkt hervorgehen müsse.
Die Ansage an die 26 EU-Partner lautet: Deutschland ist sich seiner Verantwortung für Europa bewusst. Außenminister Heiko Maas sprach von einem „Motor“, den Deutschland spielen müsse. Eine der ersten Aufgaben in der Präsidentschaft ist Mitte Juli der Versuch, eine Einigung über die EU-Finanzen zu erreichen. Wenn das gelingt, können die Fördermittel nicht nur Anfang 2021 ausgezahlt werden – Kanzlerin Angela Merkel und ihre Minister haben auch mehr Freiraum für andere Themen.
Finanzen, Gesundheit, Brexit
Die Finanzverhandlungen sind nur ein Beispiel für die Pflichtaufgaben. Es geht auch um die Frage, wie sich die EU besser gegen Pandemien schützt und verhindert, dass die Mitgliedstaaten den Schengen-Raum durch Grenzschließungen ins Wanken bringen. Also wird eine stärkere EU-Koordinierung in der Gesundheitspolitik und ein verpflichtender Absprachemechanismus in der EU über das gemeinsame Grenzmanagement gefordert.
Weil die britische Regierung jede Verlängerung des Austritts aus dem EU-Binnenmarkt über Ende 2020 hinaus ablehnt, fällt auch die Klärung des zukünftigen Verhältnisses mit London in den deutschen Vorsitz. Die Bundesregierung pocht auf ein „ausgewogenes Verhältnis zwischen Rechten und Pflichten sowie faire Wettbewerbsbedingungen“. Im Hintergrund wird bereits von „Notfallmaßnahmen“ gesprochen.
Generell wirkt die Sprache in dem Präsidentschaftsprogramm ungewohnt deutlich: So wird offen von „geostrategischen Prioritäten“ gesprochen, die Tonlage gegenüber China ist nicht mehr so wohlwollend wie in früheren Entwürfen. Wenn jetzt die Wahrung der eigenen „Werte und Interessen“ betont wird, dann spiegele dies die schwierigen Debatten mit der kommunistischen Regierung in Peking wider, heißt es in der Bundesregierung. Der geplante EU-China-Gipfel in Leipzig wurde abgesagt – auch wegen mangelnder Fortschritte bei den Verhandlungen über ein Investitionsschutzabkommen.
Um sich aber von den USA nicht in die Anti-China-Ecke drängen zu lassen, wird zugleich ein ganzes Bündel an Themenfeldern genannt, auf denen man mit China zusammenarbeiten will. Eine multilaterale Haltung durchzieht das deutsche EU-Präsidentschaftsprogramm – von der Handelspolitik bis zur Gesundheitsvorsorge. Der mehrfach erwähnte „Team Europa“-Begriff klingt dabei angesichts des heraufziehenden US-Präsidentschaftswahlkampfes wie eine Kampfansage an Donald Trump und dessen „America First“-Position. (Reuters)
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