DeutschlandBundesparteien kommen zu überraschenden Ergebnissen bei ihren Wahlanalysen

Deutschland / Bundesparteien kommen zu überraschenden Ergebnissen bei ihren Wahlanalysen
Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock musste sich das Wahlergebnis ihrer Partei nicht schönreden Foto: Britta Pedersen/dpa

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Eigentlich war es „nur“ eine Kommunalwahl. Aber eben die letzte Wahl in diesem Jahr und dann auch noch in Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland. Für die Parteien in Berlin Grund genug, am Montag die Ergebnisse mit Blick auf den anstehenden Bundestagswahlkampf zu analysieren.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet präsentierte sich im CDU-Präsidium „sehr gut drauf“, wie es hieß, weil die Union aus den Kommunalwahlen in seinem Bundesland als klarer Sieger hervorgegangen ist. Laschet war die Genugtuung schon am Morgen auf dem Weg ins Konrad-Adenauer-Haus anzusehen, als er ein kurzes Statement abgab. Er betonte, der Kurs der Mitte habe sich bewährt, es ließen sich mit diesem Kurs Wahlen gewinnen. Man kann das auch so übersetzen: „Ich kann siegen.“ Durch den Urnengang hat der Mann aus Aachen jetzt einen Etappensieg im Rennen um den CDU-Vorsitz und die Kanzlerkandidatur erzielt. Mehr aber noch nicht.

Denn zur Wahrheit gehört auch: Mit 34,3 Prozent hat die Union das historisch schlechteste Ergebnis bei einer NRW-Kommunalwahl seit 1946 eingefahren. Allerdings fielen die Einbußen mit drei Prozent längst nicht so hoch aus, wie im Vorfeld prognostiziert worden war. Via Twitter gossen die Konkurrenten von Laschet dann auch etwas Wasser in den süßen Unions-Wein. „Es gibt viel Licht, aber auch Schatten“, kommentierte Norbert Röttgen die Resultate. Er befand: „Die Grünen sind unsere strategischen Gegner, wir haben Defizite bei jungen Wählern, in den Groß- und Unistädten. Daran müssen wir arbeiten.“ Da ist was dran: Immerhin 33 Prozent der 16- bis 24-Jährigen wählten laut Demoskopen Grün, nur 22 Prozent die CDU.

Auch Friedrich Merz warnte, seine Partei verliere vor allem in den Großstädten an die Grünen. Deshalb brauche die CDU ein Konzept, wie sie mit dieser Herausforderung umgeht. „Die Bundestagswahl 2021 lässt sich nicht alleine im ländlichen Raum gewinnen“, mahnte Merz. Der Kampf um den Vorsitz geht also weiter. Entschieden werden soll er nun am 4. Dezember in Stuttgart bei einem eintägigen Präsenzparteitag, wie der Vorstand beschloss. „Das unter strengen Auflagen mit einem sehr umfassenden Hygienekonzept“, so Generalsekretär Paul Ziemiak.

Eine überraschende Rechnung machte SPD-Chef Norbert Walter-Borjans auf. Laut der bedeutet der Wahlausgang mit 24,3 Prozent (minus 7,1 Prozentpunkte) für die Sozialdemokraten „eine erkennbare Trendwende“ – nach oben. Der gewählte Vergleichsmaßstab machte diese erstaunliche Sichtweise möglich: Walter-Borjans verwies auf die Europawahl im Mai 2019, als die SPD um fast 15 Prozent eingebrochen und nur bei 19 Prozent gelandet war. Auf Platz drei. Jetzt sei man wieder zweitstärkste Kraft vor den Grünen, triumphierte der 67-Jährige geradezu. Den viel aussagekräftigeren direkten Vergleich mit der letzten Kommunalwahl 2014 vermied der Parteivorsitzende, der früher selbst einmal Finanzminister in Nordrhein-Westfalen war. Das sei sechs Jahre her, da sei „sehr viel passiert“.

„Sehr, sehr gute Startrampe“

Keine Rechenkunststücke benötigte Grünen-Sprecherin Annalena Baerbock, die im Blumenlook und ausgesprochen fröhlich in Berlin vor die Presse trat. Ein „sehr, sehr schöner Tag“ sei das gewesen, sagte die 39-Jährige und sprach von „gigantischen Zuwächsen“. Das Plus von 8,3 Prozent gegenüber der letzten Kommunalwahl war auch kaum wegzudiskutieren. Dass man im Vergleich zur Europawahl aber leicht verloren hatte, minus 3,2 Prozent, verschwieg nun wieder die Grüne, offenbar um die Kommunalwahl noch ungeschmälert als „sehr, sehr gute Startrampe“ für den Bundestagswahlkampf einordnen zu können. Was die Grünen besonders euphorisierte, war die Tatsache, dass sie in Köln mit 29 Prozent stärkste Kraft wurden und in sechs Großstädten mit ihren Bürgermeisterkandidaten in die Stichwahl kamen.

Während Linke und FDP kaum verändert bei vier bis fünf Prozent dümpeln, konnte die AfD kräftig zulegen. Allerdings wurde die Verdoppelung von 2,5 auf rund fünf Prozent innerparteilich eher mit Enttäuschung aufgenommen. 2014 war man nämlich gerade erst gegründet; heute ist man stärkste Oppositionspartei im Bund. Die AfD sei in NRW „weit unter unseren Möglichkeiten geblieben“, analysierte der Bundestagsabgeordnete und Oberbürgermeisterkandidat in Leverkusen, Roland Hartwig. „Die Ursachen dafür sollten wir in erster Linie bei uns selber suchen: Nur eine einige AfD ist eine starke AfD.“ Hartwig spielte damit auf den anhaltenden Flügel-Streit in der Partei an.