RusslandAlexej Nawalnys abenteuerliche Berlin-Reise

Russland / Alexej Nawalnys abenteuerliche Berlin-Reise
Sanitäter bringen die Trage weg, mit der Nawalny in die Berliner Charité eingeliefert wurde Foto: AFP/John MacDougall

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Nach langen Verzögerungen durch russische Behörden wird der im Koma liegende Kreml-Kritiker Alexej Nawalny in der Berliner Charité behandelt. 

Am Samstag landete eine Maschine mit dem russischen Oppositionsführer Alexej Nawalny an Bord gegen 9.00 Uhr MESZ in Berlin-Tegel. Sie war eigentlich 24 Stunden früher erwartet worden, bekam jedoch lange keine Starterlaubnis. Der im Koma liegende Politiker würde die Reise nicht überstehen, hieß es.

Zuvor war Nawalny am Donnerstag mit einer Linienmaschine aus dem sibirischen Tomsk nach Moskau zurückgekehrt. Nachdem sie ein Drittel der Strecke zurückgelegt hatte, brach der Putin-Kritiker plötzlich zusammen und wurde bewusstlos. Nach einer Notlandung in Omsk kam der Politiker in eine lokale Unfallklinik. Ärzte diagnostizierten „Stoffwechselstörungen“ – was auch immer das bedeuten mochte.

Nur eine Sprecherin der Transportpolizei nannte das Kind zu dem Zeitpunkt beim Namen: Vergiftung. Um welches Gift es sich handelte, wollte sie aber nicht verraten, weil es ein Untersuchungsgeheimnis sei. Wenig ermutigend fügte sie hinzu, es sei eine Substanz, die nicht nur für das Opfer, sondern auch für Kontaktpersonen eine Gefahr darstelle. Diese müssten also Schutzanzüge tragen.

Äußerungen von der sogenannten Expertenseite waren regelrecht entmutigend, so etwa die Vermutung, Nawalny könnte „was Unpassendes gegessen“ haben. Nawalny hatte nichts gegessen und vor dem Abflug nur einen Schluck schwarzen Tee in der Flughafengaststätte getrunken. Dann wurden angeblich Spuren von Alkohol und Koffein in seinen Blut- und Urinproben entdeckt. Also Alkoholvergiftung? Man wusste aber seit Jahren, dass er nachweislich zwar kein notorischer Abstinenzler, aber auch kein Trinker war.

Nawalnys Angehörige und Mitarbeiter berieten sich und beschlossen, ihn aus dem gottverlassenen Loch Omsk nach Moskau oder, noch besser, nach Europa zu verlegen. Wider Erwarten hatte der Kreml nichts dagegen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bot die Behandlung in der Berliner Charité an.

Noch am selben Tag stand eine deutsche Sanitätsmaschine in Omsk startbereit. Medizinische Begleitpapiere wurden vorbereitet. Am Freitag zogen die Omsker Ärzte ihre Zustimmung zum Flug nach Deutschland überraschend wieder zurück. Nun hieß es, der Patient sei „nicht transportfähig“. Erst später erfuhr man, was sich zu diesem Zeitpunkt hinter den Kulissen abspielte.

Medizinische Größen aus der ersten Reihe waren aus Moskau gekommen. Bei einem gemeinsamen Konsilium erhoben sie Einspruch gegen die bereits erteilte Starterlaubnis. Nicht zuletzt waren sie über die Äußerung einer russischen Polizeisprecherin über die Substanz, mit der Nawalny angeblich vergiftet wurde, gestolpert. Dann stellte sich heraus, dass niemand jene Äußerung von der Polizeisprecherin selbst gehört hatte. Vielmehr hatte Nawalnys Pressesekretärin sie zitiert. Nun galt es, die Zuständigen davon zu überzeugen, dass es nur ein „falscher Zungenschlag“ gewesen war.

„Herausspülen“ des Giftes braucht Zeit

Dann gab es Visa- und sonstige behördliche Probleme. Unter anderem sollte der Politiker nächste Woche in einem der zahlreichen gegen ihn angestrengten fingierten Prozesse vor einem Moskauer Gericht aussagen. Es gab sogar die idiotische Behauptung, Nawalny wolle nach Deutschland fliehen und sich auf diese Weise der Verantwortung entziehen.

Seine Anhänger schlossen ihrerseits aus dem Hin und Her um die Flugerlaubnis, die russischen Ärzte brauchten Zeit, um das mutmaßliche Gift aus dem Körper des Patienten durch Bluttransfusionen „herauszuspülen“. Wenn es so weit sei, werde er nach Deutschland und „meinetwegen sogar auf den Mond“ fliegen können. Das Argument, aus den Haarwurzeln ließe sich die Substanz gar nicht entfernen, ließen sie nicht gelten.

Seine Freunde und Angehörigen hatten Zweifel an den beruflichen Fähigkeiten der russischen Ärzte. Vor allem aber empfanden sie diese als einen Teil der Staatsmaschine und hatten deshalb kein Vertrauen zu ihnen. Also hieß es: „nichts wie weg“. Die Frau des Politikers, Julia Nawalnaja, wandte sich an Russlands Präsidenten Wladimir Putin mit der Forderung, die Ausreise ihres Ehemannes zur Behandlung nach Deutschland zu erlauben.

„Ich wende mich mit einer offiziellen Forderung an Sie“, schrieb sie auf Nawalnys Twitter-Account. Von Bitten war keine Rede. Normalerweise lässt sich Putin niemals unter Druck setzen. Eigentlich hätte ein Appell in diesem Ton auf den heftigsten Widerstand stoßen müssen. Schon bald aber erteilten die Ärzte in Omsk  die Starterlaubnis.

Bei einem Telefonat fragte der Vorsitzende des Europarates Charles Michel Putin, was mit Alexej Nawalny los sei. Dieser sei „krank geworden“, lautete die Antwort. Erfahrene Kollegen fühlten sich an Putins CNN-Interview aus dem Jahr 2000 erinnert. Als der Interviewer Larry King ihn fragte, was mit dem U-Boot „Kursk“ los sei, antwortete der russische Präsident: „Es ist gesunken“.

Nawalny ist wohl momentan Putins bestgehasster Feind. Jedenfalls nimmt der Präsident nie dessen Namen in den Mund. Es gibt aber keinen Zweifel darüber, dass Nawalny zur „Nomenklatura“ des Kremls gezählt wird. Dieser aus der Sowjetzeit stammende Ausdruck bedeutet, dass über das Schicksal des Betroffenen letztendlich im höchsten Gremium des Landes entschieden wird. Nichts passiert also ohne Wissen des Kremlchefs.

Leila
24. August 2020 - 10.48

Irgendwie muss ich an Otto Warmbier denken! Hoffentlich geht es hier anders aus!