Abstimmung über Brexit-Kurs: Der Kampf um Zeit im Parlament

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Acht Wochen vor dem geplanten EU-Austritt ist noch immer unklar, zu welchen Bedingungen Großbritannien den Staatenbund verlässt. Oder wird der Austritt noch einmal verschoben?

Das Uhrwerk im Glockenturm des britischen Parlaments steht seit knapp eineinhalb Jahren still. Der Turm, oft Big Ben genannt, wird komplett saniert. Doch eine andere Uhr tickt dafür umso erbarmungsloser. Es ist der Countdown zum EU-Austritt der Briten am 29. März. Wenn die Abgeordneten am Abend darüber abstimmen, wie es beim Brexit weitergehen soll, ist das vor allem ein Kampf um Zeit.

Aus der Sicht von Premierministerin Theresa May ist die Zeit auf ihrer Seite. Jeder Tag, an dem das Land näher an den Abgrund rückt, bringt ein bisschen Hoffnung, dass es mit ihrem Brexit-Deal doch noch klappen könnte. Mitte Januar war sie damit krachend gescheitert, doch noch gibt es keine echte Alternative dazu.

Deal oder No Deal?

Bleibt es dabei, stürzt das Land Ende März ohne Abkommen aus der EU – mit drastischen Folgen für die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche. „Der einzige Weg, den No Deal zu verhindern, ist, für den Deal zu stimmen“, wiederholt die Regierungschefin mantrahaft. Für May ist das Schreckensszenario des Austritts ohne Vertrag das beste Druckmittel, um ihren Deal und damit auch ihre politische Zukunft zu retten.

Doch das ist eine gefährliche Strategie. Sabine Weyand, die Stellvertreterin von EU-Chefunterhändler Michel Barnier, warnte am Montag vor einem „sehr hohen Risiko“, dass Großbritannien unabsichtlich ohne Vertrag aus der EU ausscheidet.

Eine überparteiliche Gruppe EU-freundlicher Abgeordneter um die Labour-Abgeordnete Yvette Cooper will einen Brexit ohne Abkommen um jeden Preis verhindern. Weil die Zeit knapp wird, soll der EU-Austritt erst einmal aufgeschoben werden. Der Änderungsantrag zur neutral formulierten Beschlussvorlage der Regierung soll am 5. Februar Debattenzeit für ein Gesetzgebungsverfahren freischaufeln. Dann will Cooper die Regierung per Gesetz dazu verpflichten, den Brexit noch einmal zu verschieben, sollte bis Ende Februar kein Abkommen ratifiziert sein.

Einfach weiter abwarten

Berichten zufolge zeigen selbst Kabinettsmitglieder Sympathien für Coopers Vorschlag. May vertröstete ihre Parteifreunde dagegen am Montag Berichten zufolge bei einer Fraktionssitzung damit, sie werde spätestens am 13. Februar eine Erklärung über den Stand der Dinge vorlegen. Auch dann dürfe das Parlament wieder Änderungsanträge einbringen. Genug Zeit also, um weiter abzuwarten, so die Botschaft.

Die Regierungschefin setzt offenbar darauf, dass sie am Dienstag ein Mandat der Abgeordneten für Nachverhandlungen zur schwierigen Irland-Frage erhält. Medienberichten zufolge unterstützt die Regierung einen Änderungsantrag, der den umstrittensten Teil aus dem Brexit-Vertrags tilgen soll: den Backstop. Damit will May die Brexit-Hardliner in ihrer Partei und die nordirische DUP, von der ihre Minderheitsregierung abhängt, auf ihre Seite ziehen.

Der Backstop ist die im Austrittsabkommen festgeschriebene Garantie für eine offene Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland. Die Regelung sieht vor, dass Großbritannien solange als Ganzes Teil der Europäischen Zollunion bleiben soll, bis das Problem anderweitig gelöst ist. Zudem muss sich Nordirland weiter an Regeln des Binnenmarkts halten.

Backstop heftig umstritten

Grenzkontrollen zwischen den beiden Teilen Irlands sollen so verhindert werden. Befürchtet wird sonst eine Rückkehr der Gewalt in der ehemaligen Bürgerkriegsregion, in der seit 1998 ein wackeliger Frieden herrscht. Doch der Backstop ist heftig umstritten. Kritiker fürchten, dass das Land dauerhaft eng an die EU gebunden bleiben könnte. Die DUP lehnt jeglichen Sonderstatus für Nordirland ab. Brexit-Hardliner zeigten sich am Montag skeptisch, ob der von May unterstützte Vorstoß weit genug geht.

Sollte sich eine Mehrheit im Parlament dafür finden, dass der Backstop verschwinden muss, hätte May ein starkes Argument gegenüber Brüssel, glauben britische Kommentatoren. Dabei dürfte sich May eigentlich kaum Hoffnungen machen, dass die EU den Backstop aufgibt. Von Anfang an haben Brüssel und Dublin klargemacht: Ohne Backstop wird es kein Austrittsabkommen geben. „Wir werden das Austrittsabkommen nicht noch einmal aufmachen“, bekräftigte Weyand noch am Montag. Spielt May mit einer möglichen Nachverhandlung also nur wieder auf Zeit?

Noch ist nicht klar, ob die Regierungschefin ein Mandat für die Nachverhandlungen vom Parlament bekommen wird. Möglich wäre auch, dass Parlamentspräsident John Bercow den betreffenden Antrag erst gar nicht zur Abstimmung zulässt. Es wäre nicht das erste Mal, dass ihr Bercow einen Strich durch die Rechnung macht.