In Paris herrscht Sprachlosigkeit

In Paris herrscht Sprachlosigkeit
(AFP/Kenzo Tribouillard)

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In der französischen Hauptstadt Paris ist es am Freitagabend zu einer Anschlagsserie gekommen. 128 Menschen sterben. Hunderte werden verletzt.

Die Menschen wollen die Arbeitswoche bei einem Konzert, einem Fußballländerspiel oder beim Essen in einem der exzellenten Pariser Restaurants ausklingen lassen. Doch Angreifer mit Maschinengewehren und Sprengstoffgürteln fallen über sie her. Wahllos töten sie Leute, die zufällig am falschen Ort sind, mindestens 128 an der Zahl. Ein Abend in der Stadt der Liebe, er wird zur Nacht des Terrors. Nur ein Wort fällt den Menschen in Paris zu der tödlichsten Gewaltwelle in ihrem Land seit 70 Jahren ein: „Blutbad“.

In dem vollbesetzen Konzertsaal Bataclan im Osten der französischen Hauptstadt eröffnen die Angreifer das Feuer auf eine Menschenmenge, die gerade auf die US-Rockband „Eagles of Death Metal“ wartet. Ein Augenzeuge sagt dem Radiosender France Info, die Attentäter hätten „Gott ist groß“ gerufen. Sie nehmen Dutzende Geiseln. Als die Polizei zugreift, sprengen sich mehrere Angreifer laut Polizeichef Michel Cadot in die Luft. 100 Menschen haben diesen Gewaltexzess im Bataclan nicht überlebt.


(Polizei-Zugriff im Bataclan)

Weiße Laken

Nur eineinhalb Kilometer davon entfernt schießen Angreifer auf das Café „Belle Equipe“. Wie an jedem Freitagabend ist das Lokal voll besetzt mit Menschen, die sich das Wochenende einläuten wollen. „Überall war Blut“, sagt ein Augenzeuge. „Du fühlst dich in Momenten wie diesem sehr allein.“ Die vorläufige Todesopferzahl liegt laut dem Pariser Staatsanwalt François Molins bei 18 an diesem Tatort. Weiße Laken bedecken die Leichen am Samstagmorgen.

Weiter nördlich spielt die deutsche Fußballnationalmannschaft gegen Frankreich. Zu dem Freundschaftsspiel im Stade de France sind rund 80.000 Zuschauer in das größte Stadion des Landes gekommen. In der ersten Halbzeit ist die erste Explosion zu hören. Einige Fans glauben, es handele sich um Feuerwerk. Dann knallt es wenige Minuten später noch einmal.

Brutale Gewalt

Wie Gregory Goupil von der Alliance Police Nationale später berichtet, sind es dies Selbstmordanschläge. Auch eine Bombe geht in der Nähe des Stadions hoch. Mindestens drei Menschen sterben. Staatsanwalt Molins berichtet, auf einer belebten Straße seien 14 Menschen umgebracht worden, fünf in einer anderen. Nur langsam wird in dieser Nacht aus den Puzzleteilen ein Bild.

Am Samstagmorgen steht fest: In offenbar koordinierten Angriffen haben die Täter, in zwei Gruppen unterteilt, die französische Hauptstadt treffen wollen. Obwohl die Art der brutalen Gewalt auf einen von der Terrormiliz Islamischer Staat inspirierten Anschlag hindeutet, bekennt sich bis zum Morgen niemand dazu. Die Terroristen hätten die Cafés von außen mit Maschinengewehren beschossen, sagt Polizeichef Cadot. „Es gab Opfer in schrecklichen und grausamen Zuständen an zahlreichen Plätzen“, sagt er schockiert.

Verstörte Überlebende

Pierre-Henri Lombard ist einer, der den Terror überlebt hat. Er sitzt in einem Restaurant, als er Geräusche hört, die wie das Feuerwerk am Nationalfeiertag klingen, wie er sagt. Dann beginnt die Panik. „Kellner kamen nach draußen und sagten, dass das eine Schießerei war. Wir sahen Dutzende Menschen die Straße herunterrennen, ein paar bluteten“, sagt er.

Polizisten, Soldaten und die Rettungsdienste eilen zu Hilfe. Sirenen heulen, wie über dem Stade de France sind auch anderswo Hubschrauber in der Luft zu sehen. Fünf U-Bahn-Linien werden geschlossen. Die Polizei fordert die Menschen in der Umgebung auf, bloß in ihren Häusern zu bleiben.

Im Bataclan kann die Polizei einige Geiseln befreien. Die verstörten Überlebenden werden mit Bussen vom Tatort weggebracht. Im Fußballstadion strömen die Fans aufs Spielfeld, weil sie sich dort, in der Mitte dieses riesigen, für die Fußball-WM 1998 gebauten Klotzes am sichersten fühlen. Staatspräsident François Hollande erklärt den Ausnahmezustand.

Paris versinkt, zehn Monate nach den Anschlägen auf die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“, erneut im Terror. Diesmal übersteigt er alles, was das Land seit dem Zweiten Weltkrieg an Gewalt gesehen hat.

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