Gülen: „Erdogan hat Putschversuch selbst inszeniert“

Gülen: „Erdogan hat Putschversuch selbst inszeniert“
(dpa/Matt Smith)

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Fethullah Gülen gilt der türkischen Regierung als ihr derzeit ärgster Feind. Präsident Erdogan macht ihn für den Putschversuch vom Juli verantwortlich. Jetzt schlägt Gülen zurück.

Der türkische Geistliche Fethullah Gülen hat den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan direkt für den Putschversuch vom 15. Juli in der Türkei verantwortlich gemacht. „In den vergangenen Tagen kamen so viele Beweise ans Licht, dass dies zur Gewissheit wird“, sagte Gülen in einem gemeinsamen Interview der Deutschen Presse-Agentur, der Wochenzeitung „Die Zeit“ und der spanischen Tageszeitung „El País“ in seinem Exil in den USA.

Erdogans ehemaliger Verbündeter
Fethullah Gülen (75) gilt als einflussreichster islamischer Prediger der Türkei. Seine Anhänger haben ein Netzwerk gegründet, das in vielen Ländern aktiv ist.

Ziel der Bewegung ist es, Muslime über Bildungseinrichtungen, Medien und Vereinsarbeit für eine fromme Lebensweise zu gewinnen. Angestrebt werden Bildung und beruflicher Erfolg. Auch deshalb sind viele „Fethullahci“ in der Türkei in Schlüsselpositionen aufgestiegen.

Für die Regierungspartei AKP war das lange kein Problem. Die Gülen-Anhänger bilden im Staatsapparat ein Gegengewicht zu den Kemalisten – der westlich orientierten alten Elite, die die Trennung von Staat und Religion im Sinne des Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk hochhält.

Gülen und der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatten bis vor einigen Jahren ähnliche Ziele: die politische Macht des Militärs zurückdrängen und den frommen Anatoliern zum Aufstieg verhelfen. Zum Bruch kam es Ende 2013, als Erdogan die Gülen-Bewegung bezichtigte, einen Korruptionsskandal angefacht zu haben, durch den führende Politiker aus Erdogans Umfeld in Bedrängnis gerieten.
dpa

Erdogan habe den Coup Jahre im voraus geplant. „Er hat nur auf die richtige Gelegenheit gewartet“, sagte Gülen, der seit 1999 im US-Bundesstaat Pennsylvania lebt. Die türkische Regierung macht ihrerseits Gülen und seine regierungskritische Hizmet-Bewegung für den Putschversuch verantwortlich und fordert die Auslieferung des 78-Jährigen. Er gilt in der Türkei inzwischen als Staatsfeind Nr. 1.

„Im Nachgang des Putschversuches nutzt er ihn, um seine Macht zu verfestigen“, sagte Gülen über Erdogan. „Was immer er auch geplant hat – der Putsch gibt ihm die Möglichkeit, es zu tun.“ Viele für die Regierung unliebsame Amtsträger, ob in Ministerien, Militär, Gerichten oder bei der Polizei, seien entlassen, viele von ihnen inhaftiert worden.

Gülen forderte eine internationale Kommission mit Experten aus den USA, Deutschland, den Niederlanden und weiteren Staaten, die den Putschversuch und dessen Umstände untersuchen sollten. Dieser Vorschlag sei von der türkischen Regierung nicht einmal in Erwägung gezogen worden, sagte Gülen. „Wenn dabei herauskommen sollte, dass ich an dem Putschversuch beteiligt war – ich kann mit den Ergebnissen leben“, sagte er.

Er gehe nicht davon aus, dass die Türkei in nächster Zeit Anforderungen erfüllen werde, die für Aufnahmeverhandlungen in die EU nötig seien. Dem Staat müsse mit internationalem Recht und Machtworten von Nato und den USA begegnet werden, forderte er. „Sonst wird das nicht aufhören“, betonte Gülen. „Sie werden nicht leichtfertig aufgeben, was sie bereits erreicht haben.“ Die Türkei habe eine Tradition der Demokratie. „Aber inzwischen haben wir fast alles verloren“, sagte Gülen.