Großbritannien in Selbstzweifel

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Großbritannien sitzt im Weltsicherheitsrat und ist neben Frankreich eine von zwei Atommächten in Europa. Zur Entschärfung der Ukraine-Krise hat London überraschend wenig beizutragen.

Es war hoch über den Wolken, als der britische Verteidigungsminister Michael Fallon zum verbalen Rundumschlag gegen Kremlchef Wladimir Putin ausholte. Russland sei ein Risiko, vergleichbar mit dem Islamischen Staat (IS). Die Nato-Partner im Baltikum seien in Gefahr, Opfer „russischer Aggressionen“ zu werden. Und über das Verhalten von Putin sei er besonders besorgt.

Außenminister Philip Hammond legte am Wochenende nach. Putin breche das Waffenstillstandsabkommen „systematisch“, sagte er. Und Fallons Vorgänger als Verteidigungsminister, Liam Fox, forderte am Sonntag Waffenlieferungen an die Ukraine. Kein Zweifel: Im Verhältnis zwischen London und Moskau herrscht im Winter 2015 Eiszeit.

Kritik eines westlichen Politikers

Es ist öffentlich nicht genau bekannt, um welche Uhrzeit und nach wieviel Flugstunden Fallon sich auf der Reise nach Sierra Leone Reportern der „Times“ und des „Daily Telegraph“ mit seinen Sorgen anvertraut hat. Sicher dürfte aber sein, dass es eine der weitreichendsten und lautesten Kritikäußerungen eines westlichen Politikers am Kremlchef war. Wenig später bestätigte Fallons Ministerium am Donnerstag, dass russische Kampfflugzeuge bei Cornwall von britischen Jets begleitet wurden – ein vergleichsweise normaler Vorgang, der aber in der gegenwärtigen Gemengelage gut zu platzieren ist.

Die eigenwillige Diplomatie aus London ist ein wenig symptomatisch für den Umgang Großbritanniens mit dem Konflikt in der Ukraine. Die Downing Street unter Premierminister David Cameron kommt diplomatisch mit dem Thema überhaupt nicht zurecht. Dass Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande jüngst auf Friedensmission nach Minsk reisten, um Putin und seinen ukrainischen Widersacher Petro Poroschenko zu treffen, London aber außen vor blieb, wurde vor allem in konservativen Kreisen als diplomatischer Offenbarungseid Londons gewertet.

„Außenpolitisch irrelevant“

Der frühere Nato-General Richard Shirreff warf Cameron sogar vor, er sei „außenpolitisch irrelevant“. Es sei «unglücklich», dass das Gewicht, das ein britischer Premierminister einbringen könne, nicht eingebracht werde, sagte der Militär. Gut zwei Monate vor der Parlamentswahl, bei der es für den britischen Premier ums politische Überleben geht, schlachtete die Opposition das genüsslich aus. Die Downing Street beeilte sich, dem Eindruck entgegenzutreten und erklärte, man spiele durchaus eine „aktive Rolle“ in der Ukraine-Politik.

Für den einen oder anderen vielleicht sogar zu aktiv. Dass der Kreml die Äußerungen Fallons als unpassend zurückwies und erklärte, der erst seit einem halben Jahr amtierende Verteidigungsminister habe die Grenzen „diplomatischer Ethik“ überschritten, mag nicht verwundern. Doch auch die westlichen Partner sind nicht so recht einverstanden mit der harschen britischen Rhetorik, auch wenn Cameron sich nach Fallons Einlassungen bemühte, die Kuh wieder vom Eis zu holen. „Russland will einen Punkt machen. Darauf sollten wir nicht allzuviel geben“, sagte er gelassen.

„Katastrophale Fehleinschätzung“

Die Ruhe des Premiers war jedoch schnell verflogen, als ihm das eigene Oberhaus in einem Bericht vorwarf, genauso wie die gesamte EU sei Cameron wie ein Schlafwandler völlig unvorbereitet in die Ukraine-Krise hineingetaumelt. Der internationale Ausschuss des House of Lords war zu dem Schluss gekommen, es habe eine „katastrophale Fehleinschätzung“ der Ereignisse in der Ukraine gegeben. Die Regierung in London sei „nicht so aktiv gewesen, wie dies möglich gewesen wäre“.

Obwohl auch das Institut für Strategische Studien (IISS) dem Westen mangelnde Vorbereitung auf Putins Hybridkrieg – eine mit Desinformation unterstützte Kriegführung mit Soldaten und militärischer Ausrüstung ohne Hoheitsabzeichen – vorgeworfen hatte: Cameron will das alles nicht wahrhaben. „Ich akzeptiere das nicht“, wetterte er auf einer Parteiveranstaltung in Glasgow. „Die Verantwortung für das, was in der Ukraine passiert, liegt ausschließlich bei Putin.“