„Gratislava“ wird reich

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Die slowakische Hauptstadt Bratislava hat es ins Spitzenfeld der reichsten Regionen Europas geschafft. Nur London, Luxemburg, Brüssel und Hamburg liegen vor ihr.

Die slowakische Hauptstadtregion Bratislava ist nach jüngst vom europäischen Statistikamt veröffentlichten Daten die fünftreichste Region der EU. Dabei war die Donau-Stadt mit ihren 430.000 Einwohnern unter dem ironischen Namen „Gratislava“ noch vor zwei Jahrzehnten vor allem als billige Hauptstadt eines armen Landes bekannt. Ein atemberaubender Aufschwung wie in keiner anderen Region der neuen EU-Mitglieder in Ostmitteleuropa.

Allerdings ging diese Entwicklung am Rest des Landes weitgehend vorbei. Im Süden und Osten herrscht bei Arbeitslosigkeit von bis zu 30 Prozent Armut und Perspektivlosigkeit. Bratislava ist die reiche Hauptstadt eines armen Landes.

Die Regionen mit dem höchsten BIP pro Kopf waren laut Eurostat im Jahr 2009 Inner London mit 332 Prozent des EU-Durchschnitts, Luxemburg (266 Prozent), Brüssel (223 Prozent), Hamburg (188 Prozent) und Bratislavsky kraj (178 Prozent).

Lebensmittel waren spottbillig

Kurz nach der Wende 1989/90 hatten Schnäppchenjäger aus dem angrenzenden Österreich die Geschäfte Bratislavas gestürmt. Vor allem Lebensmittel waren spottbillig. Slowaken dagegen standen in den österreichischen Nachbarstädten nur staunend vor Schaufenstern voller Waren, von denen sie meinten, sie sich nie im Leben leisten zu können.

Jetzt hingegen kaufen die Bewohner Bratislavas, die seit 2009 mit Euro zahlen, nicht nur Elektronik und Markenkleidung, sondern auch Lebensmittel in Österreich. Die sind dort längst schon günstiger als in der teuer gewordenen Boomtown. Nach den im März veröffentlichten Eurostat-Daten aus dem Jahr 2009 beträgt das durchschnittliche Bruttoinlandsprodukt der Region – ausgedrückt in Kaufkraftstandards – 41 800 Euro. Das sind 178 Prozent des EU-Durchschnitts. Der Kaufkraftstandard ist laut Eurostat eine Kunstwährung, die die Unterschiede zwischen den nationalen Preisniveaus berücksichtigt. In Luxemburg belief sich dieser Wert im Jahr 2009 auf 62.500 Euro.

Immobilien in Österreich

Die zahlungskräftigen Slowaken aus dem Raum Bratislava kaufen auch reichlich Immobilien in den angrenzenden österreichischen und teilweise auch ungarischen Nachbargemeinden. Sie flüchten aus Bratislava, verdienen ihr Geld aber weiterhin dort. „Von den bei uns in den vergangenen Jahren verkauften Baugrundstücken wurden fast alle von Slowaken erworben“, sagt etwa Gerhard Schödinger, der Bürgermeister der niederösterreichischen Grenzgemeinde Wolfsthal.

Woher kommen diese enormen Unterschiede? „Bratislava hat das Glück, inmitten einer europäischen Region der Prosperität zu liegen“, sagt Vladimir Balaz vom Prognose-Institut der Slowakischen Akademie der Wissenschaften. Dank guter Verkehrsanbindung an die ebenfalls wirtschaftlich starken Nachbarstädte Wien und Brünn (Brno) sowie Györ in Westungarn schöpfe die slowakische Hauptstadtregion von deren Potenzial gleich mit. Als einzige Großstadt der Slowakei ist Bratislava zudem Sitz aller wichtigen Firmenzentralen und Banken des Landes. Hier befindet sich auch der größte Produktionsbetrieb, das Automobilwerk Volkswagen Slovakia – eine hundertprozentige Tochter des Konzerns aus Deutschland.

Die Ostslowakei sei hingegen von lauter armen Regionen Polens, Ostungarns und der Ukraine umgeben und habe noch dazu eine schlechte Infrastruktur, sagt Balaz. An diesem Ungleichgewicht wird sich auf absehbare Zeit wenig ändern.