Gratis-Kinderbetreuung: Der nächste große Schritt

Gratis-Kinderbetreuung: Der nächste große Schritt
(Tageblatt/Hervé Montaigu)

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Aus den bekannten Gründen wurde am Dienstag die Erklärung zur Lage des Landes von Premierminister Xavier Bettel nicht integral gehalten. Etwa eine halbe Stunde war sie aber auf www.gouvernement.lu integral öffentlich einsehbar. Es besteht also kein Grund, die Rede nicht unter die Lupe zu nehmen.

Nach einer ersten Analyse kann man festhalten, dass in puncto Langzeitziel Gratis-Kinderbetreuung der nächste große Schritt unternommen wird, mit ab der kommenden Rentrée 20 kostenlosen Wochenstunden für alle ein- bis vierjährigen Kinder. Was Mobilität und/oder neue Arbeitsformen angeht, war es die Ankündigung von dezentralen Co-Working-Strukturen, an denen gemeinsam mit der Privatwirtschaft gearbeitet werde.

Einleitend zur Erklärung zur wirtschaftlichen, sozialen und finanziellen Lage des Landes, wie die jährliche Rede vor dem Parlament offiziell heißt, erinnert Xavier Bettel an den bevorstehenden 150. Jahrestag des Londoner Vertrags (am 11. Mai): „Der Grundstein wurde gelegt für das Luxemburg, das wir heute kennen.“ Wir würden heute in einem Land von Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit leben. Hohe Lebensqualität, gutes Gesundheits- und Sozialsystem, Infrastruktur auf dem neuesten Stand, eine starke Wirtschaft und gesunde Staatsfinanzen – es „hagelt“ positive Attribute, zudem sei auch das Vertrauen der Bürger hoch, so Bettel. Es gebe aber auch Probleme und Sorgen: Mobilität, sozialer Zusammenhalt, Mehrsprachigkeit als Vorteil, der aber auch Herausforderungen mit sich bringe, demografische Entwicklung und teure Wohnungs-, aber auch Lebenshaltungskosten, ein sich ständig anpassen müssendes Schulsystem, die richtigen Arbeitskräfte im richtigen Wirtschaftszweig – das zählt Bettel in dieser Reihenfolge auf.

Der Preis des Wachstums

Der Premierminister geht auf die Bevölkerungsentwicklung ein: In gerade mal sechs Jahren (2010-2016) habe es 74.000 Einwohner mehr in Luxemburg gegeben. „So ein Wachstum hat seinen Preis“, sagt der DP-Regierungschef, würde aber auch hohe Löhne und niedrige Arbeitslosenzahlen mit sich bringen.

Der Rückgang der Arbeitslosenquote sei einer von vielen Indikatoren, dass man sich in die richtige Richtung bewege. Und man mit Zuversicherheit nach vorne blicken könne. „De Modell fir Lëtzebuerg, dee mir haut zeechnen, muss kënnen iwwer d’Zäit bestoen an duerf net wackeleg ginn, wann de Wand mol nees méi rau bléisst“, sagt bzw. schreibt Xavier Bettel.

„Télétravail“ und Co-Working-Strukturen

Deswegen würde weiter auf hohem Niveau investiert. Der Premier hebt u.a. das Glasfasernetz hervor, aber auch Investitionen in Umweltschutz sowie Recherche. Als ersten großen Themenblock schneidet er die Mobilität an, zunächst die greifbaren, infrastrukturellen Maßnahmen – die alle dabei sind, umgesetzt zu werden (Tram etc.). Mit dem Satz „man muss weitsichtig sein und auch mutigere Entscheidungen treffen“ leitet Bettel zum Thema „Télétravail“ über. Hier müssten Modelle ausgearbeitet werden, um Unternehmen gegebenenfalls zu unterstützen: „Wo es sinnvoll ist und produktiv sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer.“ Ohne dass aber „Télétravail“ zur Regel werden solle und von einer Mehrheit ausgeübt werden solle.

Auch Dezentralisierung in puncto Landesplanung („Arbeitsplätze näher zu den Menschen bringen anstatt umgedreht“) sei hier ein Ansatz. Xavier Bettel kündigt an, dass man mit Partnern aus der Privatwirtschaft an dezentralen Co-Working-Strukturen arbeite: „Moderne Bürogebäude, die nicht einem Unternehmen alleine gehören, sondern von Arbeitnehmern aus verschiedenen Firmen zu verschiedenen Tageszeiten genutzt werden können.“

„Die Wirtschaft ist kein Selbstzweck“

Man sei dabei, das wirtschaftliche Modell grundsätzlich zu überdenken, so Bettel. Und weiter: „Die Wirtschaft ist kein Selbstzweck.“ Deshalb müsse man weiter in seine Stärken investieren – u.a. Finanzsektor, aber auch Industrie – und gleichzeitig neue Ideen entwickeln. „Space Mining“ sei eine, und eigentlich doch nur die Fortschreibung der Geschichte einer Idee, die vor 30 Jahr mit dem ersten Astra-Satelliten begonnen habe. Sie würde den Ruf Luxemburgs als „Natioun vun Innovatioun“ bekräftigen. Digitalisierung, FinTech und Start-ups sind weitere Schlagworte. Das dürfe alles nicht zu kompliziert sein, und der Premier lobt die Regierungsarbeit in Sachen Omnibusgesetz und generell der administrativen Vereinfachung.

Die Herausforderung „wie sieht Arbeit eigentlich in Zukunft aus?“ – Stichwort (Lebens-)Arbeitszeit-Organisation – erwähnt Bettel allerdings lediglich in einem Satz, ohne konkret zu werden. Die Regierung arbeite aber bereits an Konzepten und die Empfehlungen des Rifkin-Berichts seien hier eine wichtige Hilfe.

Gratis-Kinderbetreuung: 20 Wochenstunden für alle

Nächstes Thema: das Bildungssystem. Stetig steigender Migrationshintergrund der Schüler, Diversifizierung des staatlichen Schulangebots, Digitalisierung, „Jugendliche auf Berufe vorbereiten, die es heute noch gar nicht gibt“ – wesentlich Neues gibt es auch hier nicht. Anschließend folgt die Kinderbetreuung: „Nächstes Jahr werden nochmal 81 Millionen Euro zusätzlich in die Kleinkindförderung investiert.“ Eine qualitativ hochwertige Betreuung von Kindern dürfe keine Frage der finanziellen Mittel der Eltern sein.

Deswegen würde man zur kommenden Rentrée „einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung Gratis-Kinderbetreuung“ unternehmen. Im Alter von einem bis vier Jahren soll jedes Kind während 46 Wochen im Jahr von 20 Stunden/Woche Gratisbetreuung profitieren können. Bei Kindern aus sozial schwächeren Familien könnten es bis zu 30 Stunden sein. Weitere Stunden würden über sozial gestaffelte Tarife abgerechnet. Dies sei eine „konkrete Entlastung für Familien“, führt Xavier Bettel aus: „Eine Familie mit zwei Kindern in der ‚crèche‘ kann so ab der Rentrée mit 3.000 bis 5.000 Euro pro Jahr entlastet werden. Gleichzeitig werden wir die Personalressourcen für diese Einrichtungen um 10% anheben.“

Kind im Mittelpunkt

Schüler mit wie auch immer gearteten Schwierigkeiten würden in Zukunft massiv unterstützt werden, so Bettel weiter. Die Familie würde im Zentrum der Gesellschaft stehen und die Familienpolitik der Regierung würde das Kind in den Mittelpunkt stellen – ohne zu definieren, was richtig oder falsch sei, sondern um alle Familienmodelle zu ermöglichen. In diesem Themenbereich geht Bettel v.a. auf bereits Geleistetes und Geplantes (Reform des Elternurlaubs, Reform der „congés spéciaux“) ein.

In Sachen Wohnungspolitik steht ebenfalls bisher Geleistetes im Vordergrund … und die Erkenntnis, dass dies noch lange nicht ausreichend sei: „Et ass awer just den Ufank an de Wee, fir Loft an dee stéckege Marché ze kréien, ass laang a stengeg.“ Auch die Landesplanung sei hier mit einzubeziehen, damit trotz allem nicht ständig mehr Fläche verbraucht werde.

Ehrenamt stärken

Über Umweltschutz, Gesundheitssystem und Reform der Rettungsdienste geht es weiter zum Sport – und der Gemeinsamkeit der beiden letztgenannten Themen: der Notwendigkeit des ehrenamtlichen Engagements. Hier sollen Initiativen genommen werden, die Freiwilligen Vorteile einräumen und so ihre „wertvolle Arbeit“ im Dienste der Gesellschaft noch besser anerkennen würden. Beispiel: kostenloser öffentlicher Transport.

Der anschließende Schwenker in die Kultur ist kurz, es folgt der geplante „Revenu d’inclusion sociale“ (Revis), heute als RMG bekannt. Xavier Bettel verteidigt die geplante Reform, ohne direkt auf bereits geäußerte Kritiken einzugehen. Inklusion und die Bedürfnisse von behinderten und älteren Mitbürgern sind die nächsten Punkte. In Sachen Pensionssystem ging der Premier darauf ein, dass man „innovative Modelle“ brauche, ohne konkrete Pisten vorzugeben.

Finanzpolitisches Lob

„Unklarheiten sorgen für Unsicherheit, und deshalb gehen wir auch weiter den Weg von Information, Transparenz und Offenheit.“ Damit macht Xavier Bettel die Überleitung zu u.a. sicherheitspolitischen Betrachtungen. Allerdings eher allgemeiner Natur, mit Erwähnung der – notwendigen – Reformen der Polizei und auch der Justiz.

„Lëtzebuerg geet et gutt, wann et de Mënsche gutt geet“ und dies würde auch heißen, dass man die Staatsfinanzen im Griff haben müsse. Der Premier lobt die Regierungsarbeit und hebt hervor, „dass Zahlen und die Zensuren, die wir von außen bekommen, für sich sprechen“. Öffentliche Schuld stabilisiert, Wachstum, Schaffung von Arbeitsplätzen („über 32.000 von 2014 bis 2016“) und rückläufige Arbeitslosigkeit sowie sehr hohe Investitionen sind einige Punkte, auf die Bettel eingeht. Auch ehemalige graue und schwarze Listen werden besprochen: Hier betont der Premier, dass Transparenz in diesem Bereich keineswegs heiße, dass alles auf die „place publique“ gehöre.

„Innovativ und realistisch“, nicht „ideologisch und idealistisch“

Mit einigen wenigen internationalen Betrachtungen geht der Premierminister zu seinen Schlussfolgerungen über: „Menschen auszuschließen ist nicht ‚patriotisch‘ und passt nicht zu uns und auch nicht zu anderen Ländern.“

Luxemburg würde in vielen Bereichen besser dastehen als vor drei Jahren. Die Regierung würde nicht ideologisch und idealistisch, sondern innovativ und realistisch vorgehen. Das würde auf sehr vielen Ebenen gelten, auch gesellschaftspolitisch. Gemeisterte Flüchtlingskrise, Gleichbehandlung, Abtreibungs- und Nationalitätengesetz führt Bettel an. Der Umgang vom Staat mit den Religionsgemeinschaften sei „der Zeit angepasst worden“. Mehrsprachigkeit werde gestärkt, Luxemburgisch im Alltag aufgewertet. U.a. sei auch der Sozialdialog wieder aufgenommen worden.

Wer dies alles infrage stelle, würde den Fortschritt und die positive Entwicklung des Landes infrage stellen.