„Gib mir einen Stuhl und mach Platz“

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Abgemagert, entkräftet, gealtert: Die Befragung von Ratko Mladic wurde am Donnerstag vorzeitig beendet – weil er zu schwach war. Laut Medienberichten hatte er aber genug Kraft für barsche Sprüche.

Ratko Mladic tritt am Freitagmittag zum zweiten Mal vors Gericht. Die Befragung am Donnerstagabend wurde gemäss übereinstimmenden Medienberichten abgebrochen, weil der „Schlächter von Srebrenica“ zu schwach gewesen sei. Sein Anwalt vermittelte das Bild eines geschwächten ehemaligen Generals der bosnischen Serben: Sein Mandant könne nur schwer sprechen und sich kaum bewegen, sagte Milos Saljic gegenüber den Medien.

Mladic sei mit einem Sack voller Medikamente zur Befragung beim stellvertretenden Staatsanwalt für Kriegsverbrechen erschienen. „Er hat die Fragen des Gerichtes ignoriert““, sagt Saljic, „und sich vielmehr über den Bart des Staatsanwaltes lustig gemacht.“ Gemäss Informationen von „Blic“ begann die Befragung verspätet, weil Mladic aufgrund seines körperlichen Zustandes seinen Stuhl nicht halten konnte. Andere Quellen schreiben, er habe nach einem Anzug verlangt, ihn aber dann nicht angezogen.

„Ich hätte ihn wohl nicht erkannt“

Staatsanwalt Bruno Vekaric widersprach allerdings den Beschreibungen von Mladic als demenzkrankem altem Mann mit eingeschränkter Zurechnungsfähigkeit. Die angebliche Gebrechlichkeit des 69-Jährigen sei nur ein Teil seiner Verteidigungstaktik. Er habe Mladic so kennengelernt, wie er ihn sich vorgestellt habe: „Er hat die Auftritte der Staatsanwaltschaft für Kriegsverbrechen im TV kommentiert und bestätigt, dass er die Entwicklungen der letzten Jahre intensiv verfolgt hat“, so Vekaric gegenüber dem Nachrichtensender „B92“. Mladic sei sehr wohl in der Lage, an einem Verfahren teilzunehmen. Der stellvertretende Staatsanwalt führte zudem aus, dass sich Mladic optisch verändert habe. „Hätte ich ihn auf der Strasse mit Mütze und Brille gesehen, hätte ich ihn wohl nicht erkannt“, so Vekaric, „aber auch wenn er gealtert und im Vergleich zu den alten Fotografien sehr dünn geworden ist: Er ist erkennbar.“

Den schlechten Zustand von Mladic beschrieb auch eine anonyme Quelle gegenüber dem „Kurir“. Der ehemalige Militärchef der bosnischen Serben sei merklich gealtert, habe kurze, weisse Haare und sei sehr dünn. „Er hat praktisch keinen Tropfen Blut im Gesicht und viele Falten“, zitiert die Tageszeitung die Quelle. Mladic habe sich nur schwer artikulieren können und „verliert sich, während er spricht“.

„Ein Mladic geht nicht auf einen Mladic los“

Die Tageszeitung „Blic“ hingegen beschreibt einen „gesprächigen“ Mladic. Er habe sich darüber lustig gemacht, dass er seine Brille nicht in die Zelle nehmen durfte und auch seine Medikamente unter Aufsicht nehmen muss. „Was ist – habt ihr Angst, dass ich mich umbringe?“, soll er gesagt und die rhetorische Frage gleich selbst beantwortet haben: „Ein Mladic geht nicht auf einen Mladic los.“

Der 69-Jährige sprach offenbar während der gesamten Zeit auch mit den Wachen und habe versucht, ihnen Befehle zu erteilen. „Gib mir einen Stuhl“, „Mach Platz – ich will mich setzen“ – soll er beispielsweise in militärischem Ton gesagt haben. Relevante Aussagen blieben in der ersten Befragung offenbar Mangelware: Mladic betonte nur immer wieder, dass er das Haager Tribunal „nicht anerkennt“.

Erste Bilder von Mladic am Tag seiner Verhaftung (26.5.2011, Quelle: AP)

Während Mladic sich offenbar vor Gericht widerspenstig gibt, war er bei seiner Verhaftung „sehr kooperativ“. Gerüchte von einer Bombe im Haus bestätigten sich nicht. Auch habe er keinen Mann an seiner Seite gehabt, der ihn im Falle einer Festnahme „liquidieren“ sollte, wie dies lange Zeit vermutet wurde. Obwohl er zwei Pistolen auf sich trug, habe er keine Anstalten gemacht, sie zu benutzen. Er habe auch zu keinem Zeitpunkt abgestritten, der gesuchte Kriegsverbrecher zu sein. Seine ersten – und offenbar einzigen Worte – gegenüber der Sondereinheit, die ihn festnahm, waren: „Ja, ich bin Ratko Mladic.“

Der Tipp für die Verhaftung kam nicht aus der Bevölkerung, teilte der serbische Staatssekretär Slobodan Homen mit. Polizei und Sicherheitsbehörden würden auch keinen Cent der zehn Millionen Euro Kopfgeld annehmen. Sicher scheint inzwischen, dass Mladic am Donnerstag in den frühen Morgenstunden verhaftet wurde. Wie mehrere Medien berichten, habe er beim Zugriff geschlafen. Die Nachrichtenagentur SDA schreibt, dass das Haus von Mladics Verwandten in der Vergangenheit von den Sicherheitskräften mehrmals ohne Ergebnis durchsucht wurde. Mladic sei erst vor zwei Wochen hier eingetroffen. Zuvor habe er sich in der Umgebung von Belgrad versteckt gehalten. Mladic wechselte gemäß seinen Verfolgern seine Verstecke in schneller Folge.

Dennoch bleibt die Frage, wie sich der meistgesuchte Kriegsverbrecher des Landes 15 Jahre vor den Behörden verstecken konnte. Vor allem angesichts der Tatsache, dass er nicht vollkommen untergetaucht war.