Getrennte Wahlen und budgetäre Unabhängigkeit

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Kurz vor der Sommerpause und weniger als ein Jahr vor den Europawahlen zogen Luxemburgs EU-Parlamentarier gestern eine vorläufige Bilanz. Weniger über ihre Arbeit, umso mehr aber über den Zustand der Europäischen Union.

eim Wahlkampf im kommenden Jahr werden die Kandidaten, die ins Europäische Parlament einziehen wollen, gefordert sein. Denn die politischen Entwicklungen in Luxemburg laufen direkt auf vorzeitige Neuwahlen im Oktober hinaus.

Und dann ist das erreicht, was Astrid Lulling nach eigenen Angaben bereits seit 20 Jahren fordert: die zeitliche Trennung der Europa- von den nationalen Wahlen. „Das geht nur mit einer Regierungskrise“, meinte die EVP-Politikerin, mit einer leichten Zufriedenheit über das sich Anbahnende. Dann gebe es endlich eine europäische Wahlkampagne. „2009 habe ich keine einzige Rede während der Kampagne gehalten“, bedauerte Astrid Lulling, die nicht wegen zu viel Zurückhaltung bekannt ist. Europa geht nun mal in nationalen Wahlkämpfen unter.

Allerdings, wirft ihr Parteikollege Frank Engel ein: „Es besteht dann wiederum die Gefahr, dass es zu einer Protestwahl oder zu einer reinen Unterstützung der Regierungsparteien kommt.“ Das sei vor allem dort ersichtlich, wo die beiden Wahlen längst getrennt seien. Das gerne angeführte Argument der Kosten für eine zweite Wahl will Frank Engel nicht gelten lassen. „Die Organisation von Wahlen lässt das Staatsbudget nicht auseinanderbrechen.“

Georges Bach sieht mit den separaten EU-Wahlen eine Gelegenheit, die nationalen Abgeordneten in den Wahlkampf mit einzubeziehen. Diese würden sich zu sehr auf die heimischen Themenfelder zurückziehen und so wichtige Debatten wie über das europäische Semester, wo es um die haushalts- und wirtschaftspolitische Ausrichtung des Landes geht, an einem Nachmittag abhaken, bedauert der EVP-Abgeordnete.

Dabei halten die sechs europäischen Volksvertreter Debatten über die EU auch im noch weitgehend europafreundlich eingestellten Luxemburg für notwendig. Denn auch hierzulande werde tendenziell mit der Kritik an der europäischen Politik auch gleich die Idee Europa mit abgelehnt, so Charles Goerens, der gegen dieses Amalgam angehen will. „Wir müssen ein Maximum tun, um die Debatten wieder objektiv zu führen“, sagte der Liberale.
Dabei gehe es ihm nicht darum, die Dinge schönzureden. „Es gibt auch Sachen, die schieflaufen“, gab er zu.

Die sechs befürchten, dass mit den verzerrten Darstellungen der europapolitischen Realität im kommenden Jahr vor allem Nationalisten und Populisten jeglicher Couleur in großer Zahl in die europäische Volksvertretung einziehen werden. Das werde die politische Arbeit erheblich erschweren, da es diesen Politikern nicht darum gehe, eine gute Politik zu betreiben.

Eigenmittel für die EU

Doch sie hätten es schwer, gegen die Staats- und Regierungschefs anzutreten, die nach einem Gipfel in heimischen Fernsehsendern auftreten und sich als Gewinner der Verhandlungen in Brüssel präsentieren würden, ärgerte sich Frank Engel. „Wenn die ’sparen‘ sagen, haben wir keine Chance, zu erklären, dass das nicht gut für Europa ist.“

Und die mittlerweile 28 Staats- und Regierungschefs halten weiterhin einen wichtigen Trumpf in der Hand. Die EU hat immer mehr Macht, aber keine entscheidende Macht“, stellte Robert Goebbels fest. Und verwies auf die Budgetverhandlungen, in denen die Nationalstaaten weiterhin festlegen, wie viel Geld ausgegeben werden darf. Das Budget für die kommenden sieben Jahre werde mit 0,9 Prozent des Bruttoinlandproduktes kleiner sein als jenes von 2005 mit 1,2 Prozent des BIP, rechnete der sozialistische EU-Parlamentarier vor. „Wir brauchen ein Budget von mindestens fünf Prozent des Bruttoinlandproduktes. So viel hatten die USA vor dem Ersten Weltkrieg. Heute liegen die bei 25 Prozent des BIP“, so Robert Goebbels.

Deshalb ärgert sich der Grünen-Politiker Claude Turmes über die vor einer Woche gefundene Einigung zwischen den Vertretern des Europäischen Parlamentes und dem Rat über den mehrjährigen Finanzrahmen der EU für die Jahre 20154 bis 2020. Denn dort sei eine der großen Forderungen des Europaparlaments nicht geklärt worden: die Frage der Eigenmittel. „Damit können die Nationalregierungen weiterhin das Erpressungsmittel Budget ausnutzen“, warnte Claude Turmes. Eigene Einnahmequellen hingegen für die EU würden diese unabhängiger machen. Eine Ansicht, die von allen geteilt wird.

Ob auch das Interesse an den Europawahlen in den anderen EU-Staaten mit der Aufstellung von Kandidaten für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten durch die europäischen Parteien steigen wird, darüber herrscht Uneinigkeit zwischen den sechs Volksvertretern.

Charles Goerens begrüßt die dahinterstehenden Absichten eines mehr europäischen Wahlkampfes ausdrücklich. Doch befürchtet er, dass das Amt unter dem derzeitigen Inhaber José Manuel Barroso „stark abgewertet wurde“. „So viel Legitimität um sowenig zu bewegen“, das würden die Wähler vielleicht nicht einsehen, so Charles Goerens.
Astrid Lulling hingegen findet nichts an dieser Idee, da die Nationalstaaten die Kommissionsmitglieder vorschlagen. „Würde François Hollande den konservativen Michel Barnier als Kommissionspräsidenten vorschlagen?“, fragte sie. „Würde Angela Merkel den Sozialisten Martin Schulz vorschlagen?“, schob Robert Goebbels nach. Barnier und Schulz werden als potenzielle Kandidaten für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten gehandelt.