Gerichtshof verurteilt Ukraine

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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Ukraine wegen der Behandlung der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko verurteilt.

Die ehemalige Regierungschefin sei willkürlich in Haft genommen worden, stellte der Gerichtshof in einem am Dienstag verkündeten Urteil fest. Die Richter rügten unter anderem Verletzungen der Menschenrechte auf Freiheit und auf gerichtliche Überprüfung von Freiheitsentziehungen.

Die Ukraine will den Urteilsspruch prüfen. „Wir müssen die Entscheidung zugestellt bekommen. Wir werden sie analysieren. Solange kann ich nichts kommentieren“, sagte der ukrainische Vertreter beim EGMR, Nasar Kultschizki, am Dienstag der Agentur Interfax.

Umsetzung ist Sache der Ukraine

Das Urteil bedeutet nicht, dass Timoschenko automatisch aus der Haft freikommt. Die Umsetzung des Urteils ist Sache der Ukraine. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig; die Ukraine kann die Verweisung an die Große Kammer des Gerichtshofs beantragen.

Timoschenko war im Oktober 2011 wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft und umgerechnet 137 Millionen Euro Schadenersatz verurteilt worden. Der 52-Jährigen wurde vorgeworfen, ein für die Ukraine nachteiliges Abkommen über Gaslieferungen aus Russland abgeschlossen zu haben. Timoschenkos Anwälte kritisierten, der Prozess sei politisch motiviert gewesen, um „die Hauptgegnerin des Präsidenten aus dem politischen Leben der Ukraine zu entfernen“.

Steuerhinterziehung

Aber der Fall ist viel kniffeliger, denn längst läuft gegen Timoschenko ein zweiter, ebenfalls scharf kritisierter Prozess, diesmal wegen Steuerhinterziehung. Zudem will die Staatsanwaltschaft die 52-Jährige wegen Auftragsmordes an dem Abgeordneten Jewgeni Schtscherban vor mehr als 16 Jahren anklagen.

Auch wegen dieser Verfahren lehnte die staatliche Kommission eine Begnadigung ab. Regierungschef Nikolai Asarow betont, dass höchstens «humanitäre Gründe» eine Entlassung rechtfertigten – Timoschenko leidet an den Folgen eines Bandscheibenvorfalls und wird von Ärzten der Berliner Charité an ihrem Haftort Charkow behandelt.

Einfluss der Ikone

Hinzu kommt, dass in der Ukraine der Einfluss der Ikone der prowestlichen Revolution von 2004 spürbar schwinde, meinen Experten. Nun habe die Opposition bereits Kurs auf die Präsidentenwahlen 2015 genommen, sagen Experten. Dazu kürte zwar die Vereinte Opposition Timoschenko schon zu ihrer Kandidatin. Doch ernsthaft mit ihrer Freilassung rechnet derzeit offensichtlich niemand.

Kommentatoren betonen, dass die charismatische Politikerin als Konkurrentin zu gefährlich wäre für Amtsinhaber Janukowitsch. Im Gegenzug streuen regierungsnahe Kreise, dass selbst Oppositionsführer wie Parlamentsneuling Vitali Klitschko oder der Fraktionsvorsitzende von Timoschenkos Partei, Arseni Jazenjuk, lieber ihre eigenen Ambitionen vorantrieben denn die Freiheit ihrer offiziellen Anführerin.