Geisterstadt in Schutt und Asche

Geisterstadt in Schutt und Asche

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Die Kurden sind stolz auf ihren Sieg gegen die IS-Terrormiliz in Kobane. Doch Raketen und Gefechte haben viele Menschen getötet und die Stadt völlig zerstört. Der Wiederaufbau wird Millionen kosten.

Irgendwann kann Adla Hasso die Tränen nicht mehr zurückhalten. Erst kullert eine über ihre Wange, dann zwei, dann mehr. Es sind stille Tränen, die das Leid nach außen spülen, das Adla Hasso und ihre Familie in Kobane erleben mussten. Vier Monate hat die IS-Terrormiliz die Stadt im Norden Syriens terrorisiert. Vier Monate mit Granaten, die auf Kobane regneten, Gefechten und Meldungen über neue Opfer. Adla Hasso hat auch während der Kämpfe in der Stadt gelebt. Jetzt ist sie mit ihrer Kraft am Ende.

Anfang der Woche haben die Kurden die IS-Extremisten endgültig aus Kobane vertrieben. Eine gespenstische Ruhe hat sich über die Stadt und ihre menschenleeren Straßen gelegt, die manchmal unterbrochen wird, wenn ein hupendes Auto vorbeifährt. Männer sitzen darin, die Finger zum Siegeszeichen gespreizt. Die Kurden feiern ihren Erfolg.

Stolz auf die Befreiung

Adla Hasso steht mit Familie und Nachbarn am Straßenrand und wischt sich mit einem Taschentuch die Tränen aus den Augen. Glücklich und stolz sei sie über die Befreiung der Stadt, sagt die Frau Anfang 40, die sich mit einem Schal um Kopf und Hals gegen Januar-Kälte schützt. „Aber wir haben dafür mit so viel Blut bezahlt.“ Ihr Onkel ist in den Kämpfen umgekommen. Und so viele Nachbarn.

Jede Straße in Kobane zeigt, wie der Krieg in der Stadt an der Grenze zur Türkei gewütet hat. Granaten und Raketen haben Straßenzüge, sogar ganze Viertel in Schutt und Asche gelegt. Häuser sind zusammengefallen, Fassaden geborsten, Wände durchlöchert. In den Straßen liegen zerschossene Wracks von Autos und Lastern. Der Krieg hat Kobane in eine Geisterstadt verwandelt, grau und staubig.

15.000 Menschen blieben in der Stadt

Und dennoch leben, so die Schätzungen, noch rund 15 000 Zivilisten in der Stadt, weil sie nicht fliehen konnten oder wollten. Ganze Familien mit Kindern haben im Bombenhagel ausgeharrt. In einer der leeren Straßen tauchen drei kleine Mädchen aus einem Haus auf und feiern die kurdischen Kämpfer mit Sprechchören.

Auch zur Familie von Adla Hasso gehören Kinder, ihre Nachbarin hat einen kleinen Jungen, ein Jahr alt, Schnuller im Mund. Nein, sagt seine Mutter Sadiqa, sie hätten keine Angst um ihr Leben gehabt.

Wasser und Lebensmittel bekommen die Menschen von den kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG). In den Straßen patrouillieren deren Kämpfer, Soldaten mit Gewehren über der Schulter und schwarzen Händen, die sie sich seit langem nicht mehr gewaschen haben. Khabat Khalil ist einer von ihnen, 20 Jahre alt, ein junger Bursche mit dünnem Bart ums Kinn. Er ist von der Front in die Stadt gekommen, um ein paar Kumpels zu treffen.

„Großartiger Kampf“

Bis vor zwei Monaten lebte Khabat in den irakischen Kurdengebieten. Dann kehrte er zurück in seine Heimat Kobane, um die Stadt gegen die IS-Extremisten zu verteidigen. „Es war ein großartiger Kampf“, sagt er und lächelt, als ginge es um ein Fußballspiel. In den Fingern hält er noch immer eine Handgranate. Furcht vor dem IS und seinen Gräueltaten will auch er – wie so viele – nicht gekannt haben. Nur wenige lassen einen Blick in ihre Seele zu wie Adla Hasso.

Mohammed Saidi, ein Vertreter der Stadtverwaltung, ist auch in den Straßen unterwegs. Strom- und Wassernetz seien zerstört, sagte er. „In einem ersten Schritt versuchen wir, die Menschen damit wieder zu versorgen.“ Viele Viertel seien zwar befreit, aber nicht gesichert. Noch immer durchkämmten YPG-Kämpfer Häuser auf der Suche nach Leichen und versteckten Sprengsätzen.

Wiederaufbai wird Millionen kosten

Zugleich wird geschaut, welche Gebäude noch bewohnbar sind. Wie hoch der Schaden in Kobane ist? Mohammed Saidi kann es nicht sagen. Eins aber weiß auch er: Der Wiederaufbau wird Millionen kosten und nur mit Hilfe aus dem Ausland möglich sein. „Ich wünsche mir“, sagt Mohammed Saidi, „dass die ganze Welt erfährt, was hier passiert ist.“ Dann zieht er davon, die Sonne geht unter.

Als schon die Dunkelheit über Kobane herein gebrochen ist, rauscht über die Stadt wieder ein Kampfjet der internationalen Koalition, die die Kurden mit Luftschlägen unterstützt. Wenig später ist in der Ferne eine Detonation zu hören. Die Schlacht um Kobane mag gewonnen sein. Im Umland aber kontrolliert der IS noch Dutzende Dörfer. Zu Ende ist der Krieg noch lange nicht.