„Gaddafi wusste nicht, was zu tun ist“

„Gaddafi wusste nicht, was zu tun ist“
(Reuters)

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Gaddafis letzte Tage waren trist und von ständigen Fluchten geprägt. Bei seiner Festnahme war er verwirrt, erzählt sein langjähriger Chauffeur Huneish Nasr.

30 Jahre lang stand Huneish Nasr im Dienste des ehemaligen libyschen Machthabers Muammar Gaddafi. Während dessen Verhaftung war Huneish Nasr mit dabei. Inzwischen ist Gaddafi tot, sein ehemaliger Chauffeur sitzt im Gefängnis in Misrata. Der britischen Zeitung „The Guardian“ erzählte er jetzt, wie er Gaddafi in den letzten Stunden erlebt habe.

Die Wochen zuvor seien tumultartig gewesen. Er habe die letzten Tage der Belagerung von Sirte zusammen mit Gaddafi verbracht. Sie zogen gemeinsam von Haus zu Haus, um den Kämpfen, Explosionen und Schiessereien zu entkommen. Am 21. Oktober entschieden sie sich, die Stadt zu verlassen, da keine Nahrungsmittel mehr zu finden waren. Auf ihrer Flucht wurden sie aber von Nato-Kampfflugzeugen beschossen. „Alles um uns explodierte“, erzählt Nasr. Danach seien die Kämpfer des Übergangsrates auf Gaddafi und seine Getreuen zugerannt.

Verwirrter Gaddafi

Gaddafi habe verwirrt ausgesehen, erzählt sein persönlicher Fahrer. „Er hatte keine Angst, aber er schien nicht zu wissen, was zu tun ist. Es war das einzige Mal, dass ich ihn so gesehen habe.“ Er selbst habe seine Arme in die Luft gehoben, um sich zu ergeben, so Nasr. Er sei mit einem Gewehrkolben zu Boden geschlagen worden. Die Rebellen zerrten Gaddafi aus seinem letzten Versteck, einer Abwasserröhre. Die Rebellen umzingelten ihn, Schüsse fielen. Es war das letzte Mal, dass Nasr seinen Chef gesehen hatte. Sein Chef habe nicht mehr gemerkt, was um ihn herum passierte, erzählt der 60-Jährige. „Er war merkwürdig“, so Nasr: „Er stand ständig still und blickte nach Westen. Ich sah keine Furcht bei ihm.“

Der Chauffeur Nasr und Mansour Dhao, der Sicherheitschef des Diktators scheinen inzwischen die einzigen überlebenden Mitglieder von Gaddafis alter Schutztruppe zu sein, die von den letzten Tagen des ehemaligen libyschen Machthabers erzählen können. „Wenn andere enge Mitarbeiter noch immer am Leben sind, weiss ich nicht, wo sie sind und was mit ihnen passiert ist“, erzählt Nasr in seiner Zelle dem „Guardian“. „Die anderen sind vielleicht irgendwo bei den Revolutionären oder sie sind tot.“

Loyal bis nach dem Tod

Nasr hält aber auch nach dessen Tod zu Gaddafi. Er habe 30 Jahre mit Gaddafi verbracht und schwöre bei Gott, dass er nie ein schlechtes Verhalten erlebt habe. Gaddafi sei immer sein Chef gewesen und habe ihn gut behandelt. Wie viele enge Vertraute des Tyrannen stammt auch Nasr vom gleichen Stamm Gaddafis ab. Ohne seinen Stammesnamen und die jahrelange Arbeit für den Despoten wäre er wohl kaum bis zum Schluss mit Gaddafi zusammen geblieben. Fast alle Vertrauten hatten Gaddafi fallengelassen, Nasrs Loyalität ging hingegen so weit, dass er sogar trotz Pensionierung im März zu Gaddafi zurückgekehrt war.

Vor wenigen Tagen hatte bereits Mansour Dhaou von Gaddafis letzten Wochen erzählt. Er habe seine letzten Tage mit lesen, Notizen machen und Tee kochen verbracht, sagte Dhao, der zurzeit ebenfalls in Misrata festgehalten wird. Er habe sich von Nudeln und Reis ernährt. „Er hat die Kämpfe nicht geführt“, sagt Dao über Gaddafi, „seine Söhne haben das getan. Er hat überhaupt nichts mehr geplant oder auch nur über Pläne nachgedacht.“

„Seine Situation falsch eingeschätzt“

Gaddafis Anhänger hatten offenbar immer wieder versucht, den Diktator zu überreden, aufzugeben und das Land zu verlassen. Der lehnte das ab, weil er laut Dhao lieber im Land seiner Vorfahren sterben wollte. „Er tut mir leid, weil er seine Situation so falsch eingeschätzt hat“, sagt Dao, der seit mehr als dreissig Jahren im direkten Umfeld von Gaddafi gearbeitet hat, seit 1990 auch als sein persönlicher Sicherheitschef. Bis am Schluss soll der Ex-Diktator nicht verstanden haben, wieso „sein“ Volk sich gegen ihn erhoben hat.