/ Für Kurswechsel der europäischen Politik
Tageblatt: Der EGB demonstriert morgen in Luxemburg. Was ist Sinn und Zweck dieser Veranstaltung?
Jean-Claude Reding: „Wir stehen vor wichtigen Entscheidungen in der EU. Dabei werden die falschen Schlussfolgerungen der Krise, die 2008 begann, gezogen. Statt dafür zu sorgen, dass jene, die den Schlamassel verursacht haben, auch zahlen (z.B. die Finanzspekulanten), sollen jetzt die Bürger geschröpft werden. Dies betrifft besonders die Menschen in Griechenland, Portugal, Irland und Spanien, aber auch alle anderen sollen zahlen.
Die richtigen Schlussfolgerungen fehlen, was die Ursachen der Krise betrifft. Die ungleiche Verteilung des Reichtums, langsamer wachsende Löhne, die Schulden notwendig machten, führten zu einer Krise der Banken und des Systems.
Wenn wir jetzt raus aus der Krise wollen, dann muss die Politik dafür sorgen, dass die Wirtschaft wieder normal funktioniert. Stattdessen soll es jetzt weitergehen wie vor der Krise, also mit stagnierenden Einkommen bei Steigerung der Profite. Dies ohne, dass die Gelder den Weg in die Wirtschaft finden, sondern wieder bei Spekulanten landen.
Ein entsprechendes Paket von Prozeduren und Maßnahmen liegt vor. Hierzu gehört das sog. ’Semestre européen’, mit dem die Haushalte kontrolliert werden, der Stabilitätspakt soll erhalten und verschärft werden, was zu einem erhöhten Risiko von Rezession und zunehmenden Schulden der Staaten führt mit den entsprechenden negativen Auswirkungen auf Beschäftigung und Einkommen der Menschen.“
Und Luxemburg in alldem?
„Die Konsequenzen dieser Politik betreffen selbstredend auch Luxemburg. In den EU-Vorschlägen ist die Abschaffung des Index-Systems zurückbehalten worden, es wird gegen eine überzogene Lohnpolitik gewarnt.
Auch beim Thema Renten gilt es sich zu wehren. Hier wird pauschal angeregt, alle sollten länger arbeiten, unabhängig von den Realitäten der Berufswelt. Es ist dies eine simplistische und rein mathematische Vorgehensweise. Wir sollen laut EU jetzt sparen, was z.B. erklärt, warum die Regierung die Krisensteuer weiterführen möchte. Die Demonstration gilt also auch der Luxemburger Politik.
Immerhin ist Jean-Claude Juncker Chef der Euro-Gruppe und es darf mit Spannung beobachtet werden, ob jetzt, da die Wirtschaft besser läuft, Schluss mit der Austeritätspolitik ist oder ob die Menschen weiteren Kaufkraftverlust hinnehmen müssen.“
Liegt der aktuellen EU-Politik ein Konstruktionsfehler zugrunde? Fehlt die soziale Dimension?
„Dies ist ganz klar so und ich werde fast schon müde, dies zu wiederholen. Dies ist auch die Ursache dafür, dass die Begeisterung der Menschen für Europa abnimmt. Es ist zudem nicht mehr offensichtlich für die Bürger, wo die Entscheidungen fallen, wo über die Ausrichtung der Politik geredet wird. Europa hat ein politisches Problem: Die demokratische Dimension fehlt.
Die Bürger erleben die oben beschriebenen Maßnahmen als fremdgegeben, alternative Diskussionen fehlen. Sozialpolitisch ist festzustellen, dass die Arbeitslosigkeit nicht zurückgeht und nicht ausreichend auf Beschäftigung gesetzt wird.
Aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit werden die Löhne außerdem niedrig gehalten, wobei nicht klar ist, gegen welche Konkurrenten sich diese richtet. Gegen den Rest der Welt oder gegen andere europäische Länder. Die Löhne der Mitgliedsstaaten werden miteinander verglichen, dies aber nicht in einem positiven Sinne, sondern zum Zweck ihrer Senkung.
Es bleibt unklar, was die Ziele dieser Politik sind: Wollen wir wettbewerbsfähig gegenüber Afrika oder China sein oder gegen den Dollar-Raum?
Die eingeschlagene Richtung ist jedenfalls falsch, an sozialen Leistungen wird gekürzt und die Löhne werden niedrig gehalten (was niedrigere Steuereinnahmen bedeutet). Zeitgleich wird in praktisch allen EU-Ländern die Vermögenssteuer abgeschafft; die Gesellschaft driftet ständig weiter auseinander, ein Gefühl der Unsicherheit macht sich breit, egoistisches Gedankengut kommt auf.“
Und die Solidarität mit der Dritten Welt in dem Kontext?
J.-C. R.: „Die Art und Weise, wie die Globalisierung der Weltwirtschaft in den letzten 20 bis 30 Jahren vor sich ging, führte dazu, dass die wirtschaftlich weniger entwickelten Länder stehen gelassen wurden. Außerdem wurden die Unterschiede in den Ländern selbst größer.
Nur große Länder, wie Brasilien und China, die ihre eigene Entwicklung unabhängig von den Vorgaben von Welthandelsorganisation und internationalem Währungsfonds gemacht haben, konnten sich positiv entwickeln. Hierzu gehörte auch eine Portion Protektionismus.
Ein Wechsel ist auch bei der Globalisierung notwendig. Wenn es eine gerechte Entwicklung geben soll, dann müssen die Regeln geändert werden. Hierzu zählt zum Beispiel eine Besteuerung der Finanztransaktionen. Mit relativ geringer Besteuerung könnte hier ausreichend Geld zusammenkommen und die blinde Spekulation könnte verhindert werden. Eine solche Besteuerung könnte auch exklusiv in der Euro-Zone eingeführt werden. Hiermit könnte ein Stabilitätsfonds gespeist werden, der den Ländern direkt unter die Arme greifen könnte.
Jetzt gibt die Zentralbank den Banken Geld zu niedrigen Zinsen, die es dann inklusive Risikoprämie etwa an die Griechen zu hohen Zinssätzen weiterverleiht. Es ist dies ein perverses System.“
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