„Frische Brise“ aus dem Baltikum

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Litauen übernimmt von Irland zum 1. Juli den Ratsvorsitz der Europäischen Union. Das baltische Land muss sechs Monate lang zwischen den EU-Ländern vermitteln. Doch das wird nicht einfach - die Ex-Sowjetrepublik steht vor vielen Herausforderungen.

Das Symbol für Litauens enge Verbundenheit mit Europa steht nördlich der Hauptstadt Vilnius. Eine zum EU-Beitritt 2004 errichtete weiße Granitsäule mit einer Krone aus goldenen Sternen markiert dort „Europos centras“ – den geografischen Mittelpunkt Europas. Von Juli an wird Vilnius auch politisch ins Zentrum Europas rücken. Denn Litauen übernimmt zum ersten Mal die EU-Ratspräsidentschaft – von Irland – und führt als erste Ex-Sowjetrepublik in der zweiten Jahreshälfte die Geschäfte der EU-Mitgliedsstaaten.

„Litauen ist eine frische Brise, eine innovative und vitale Stimme in der EU-Familie. Wir können einen Mehrwert für die gemeinsamen europäischen Ziele leisten“, sagt Außenminister Linas Linkevicius. In den sechs Monaten an der EU-Spitze will das baltische Land für ein „glaubwürdiges, wachsendes und offenes Europa“ sorgen und als „ehrlicher Makler“ die Entscheidungsprozesse steuern.

Litauen, internationales Vorbild

Doch kann das kleine Land mit drei Millionen Einwohnern, das erst seit knapp zehn Jahren Mitglied der EU ist und nicht der Euro-Zone angehört, dem krisengeplagten Staatenbund die Richtung vorgeben? Der eiserne Reform- und Sparkurs Litauens während dessen eigener Krise gilt zwar international als Vorbild für strauchelnde Euro-Länder. Doch Skeptiker befürchten, dass der Präsidentschafts-Neuling sich bei schwierigen Verhandlungen schwertun wird, Lösungen durchzupauken.

„Erfahrung ist natürlich wichtig, aber nicht entscheidend“, sagt die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite. Sie sieht ihr Land gut gerüstet für die „historische Aufgabe“. Eigenhändig unterzog sie die neue Regierung vor ihrer Ernennung Ende 2012 einer Sprachprüfung. Alle Minister sollten mindestens eine EU-Arbeitssprache beherrschen, um Litauen „ordentlich repräsentieren“ zu können.

Nach Dublin, Vilnius

Diplomaten bescheinigen Vilnius, gut vorbereitet zu sein. Doch Litauen tritt in vergleichsweise große Fußstapfen – es übernimmt den Staffelstab von Irland. Dublin genießt in Brüssel als geschickter und verlässlicher Verhandler einen guten Ruf. Und wurde ihm auch in seiner siebten Ratspräsidentschaft wieder gerecht.

Der irische Premierminister Enda Kenny und sein Außenminister Eamon Gilmore hatten im vergangenen halben Jahr ein riesiges Pensum abzuarbeiten. Darunter fielen die Schlussverhandlungen zur Fischereireform und in den vergangenen Monaten vor allem der Start der schwierigen Gespräche zur Agrarreform.

„Effiziente und transparente“ Iren

Als besonderen Pluspunkt können sich die von Diplomaten als „effizient und transparent“ beschriebenen Iren die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA gutschreiben. Beim G8-Gipfel in Enniskillen wurde der Verhandlungsstart tatsächlich verkündet – trotz Widerstand aus Frankreich.

Offen blieb aber, ob die Politiker von der grünen Insel noch in der Lage sein werden, bei der hart umkämpften EU-Finanzplanung für 2014 bis 2020 einen Kompromiss zwischen den Nationalstaaten und dem Europaparlament zu erzielen. Außerdem gilt es, den EU-Pakt für Wachstum und Beschäftigung und die beschlossenen Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzsektors zu verwirklichen.

Aufnahme Kroatiens

In die litauische Präsidentschaft fällt mit der Aufnahme Kroatiens eine Erweiterung der EU auf 28 Mitgliedsstaaten. Zum Ende der laufenden Amtsperioden von EU-Kommission und EU-Parlament bekommt der Baltenstaat zudem alle unerledigten Arbeiten aus früheren Präsidentschaften auf den Tisch. „Es ist eine Zeit besonders harter Arbeit“, umschreibt es EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso.

Trotz dieser Herausforderungen hat sich Litauen auch eigene Ziele gesetzt. Der südlichste der drei baltischen Staaten will die Vollendung des Energiebinnenmarktes und eine Strategie zur Entwicklung des Ostseeraums sowie den Schutz der Außengrenzen vorantreiben.

Sichtbar drängt Litauen auf eine engere Zusammenarbeit zwischen der EU und ihren östlichen Partnern. Ende November ist in Vilnius ein Gipfel geplant, bei dem ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine unterzeichnet werden könnte. Auch andere Ex-Sowjetrepubliken wie Armenien oder Georgien sollen näher an die Gemeinschaft herangeführt werden.