Frankreichs Rückzug stört Gipfelplanung

Frankreichs Rückzug stört Gipfelplanung
(dpa)

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Ein Gipfel der Einheit und Entschlossenheit sollte es werden. Dann aber versammelten sich die Staats- und Regierungschefs der 28 Nato-Staaten am Sonntag zum Gipfeltreffen in Chicago. Und rasch war klar: Ganz so harmonisch würde es doch nicht.

Nicht einmal eine Woche nach seiner Amtseinführung hat Frankreichs neuer Präsident François Hollande auf oberster Bühne die Rolle des prominenten Spielverderbers übernommen: Beim Treffen mit den Spitzen der G8 und der Nato beharrte er darauf, dass die französischen Kampftruppen schon Ende 2012 aus Afghanistan abziehen werden. Zwei Jahre also vor dem in der Nato vereinbarten Termin. Nicht nur der wahlkämpfende US-Präsident hatte gehofft, dass ihm der Alleingang des französischen Sozialisten erspart bleiben würde.

Barack Obamas Gipfel-Choreographie hatte vorgesehen, dass er sich zunächst im Kreis der acht führenden Industriestaaten in Camp David und danach auch in seiner Heimatstadt Chicago beim Nato-Gipfel vor etwa 60 Regierungschefs als der große Wegweiser und Zusammenführer zeigen könnte. Hollande verhinderte das freundlich, aber bestimmt, was er mit seinen eigenen Wahlversprechen begründete.

Ausstieg könnte Nachahmer finden

Unruhe gab es im Bündnis: Denn, so fürchten Diplomaten, Hollandes Entscheidung zum vorzeitigen Ausstieg aus der Bündnissolidarität könnte auch für andere das Zeichen sein, sich noch vor dem Dezember 2014 von der derzeit 130.000 Soldaten zählenden Afghanistan-Truppe Isaf zu entfernen. Dies wiederum werde von den radikalislamischen Taliban als Zeichen der Schwäche der Nato gedeutet. Und als Ermunterung, nach dem Abzug der internationalen Soldaten die Angriffe gegen die Regierung wieder aufzunehmen. „Gemeinsam rein, gemeinsam raus“ sei die Devise bei einem Militäreinsatz des Bündnisses, hatte deswegen Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen monatelang immer wieder gemahnt – erfolglos. Denn immer wieder hatten Nato-Mitglieder seit 2010 Rückzugsgelüste, die freilich stets zumindest teilweise gestoppt wurden.

Über den Abzug aus Afghanistan sollte nicht groß diskutiert werden, hatte Rasmussen geplant. Stattdessen sollten die 50 Isaf-Staaten (Nato plus 22 weitere) feierlich der afghanischen Regierung Hilfe für zunächst zehn weitere Jahre ab 2015 zusagen. Ausbilder und Berater für die Sicherheitskräfte sowie 3,2 Milliarden Euro pro Jahr für den Unterhalt von Armee und Polizei. Nicht den geringsten Streit sollte es um den schnöden Mammon geben: Die USA hatten sogar Vorschläge gemacht, mit welchen Summen sich die einzelnen Regierungen an dieser Hilfe beteiligen sollte. In einigen Hauptstädten wurde darüber heftig gegrummelt.

Auch die anderen Gipfel-Beschlüsse waren in monatelangen Gesprächen sorgsam vorbereitet worden. Nicht der Hauch von Streit sollte das Hochamt der nordatlantischen Geschlossenheit trüben. Angesichts der Finanznot in den Verteidigungshaushalten gelobten die Regierungen künftig enge Zusammenarbeit bei größeren Rüstungsprojekten. Und es gab keinen Zweifel am grünen Licht für ein neues Milliardenprojekt, ein lange umstrittenes System zur Bodenaufklärung mit unbemannten Flugzeugen.

Raketenabwehr und Atomwaffen

In zwei anderen Bereichen standen die Beschlüsse auch fest, als der Gipfel anfing: Die Nato feierte die „Anfangsbefähigung“ ihrer Raketenabwehr für Europa. Sie soll bis 2020 wirklich funktionieren. Bis dahin wird es noch viel Streit mit Russland geben. Und die Nato einigte sich auf einen Kompromiss in der Frage, ob taktische US-Atomwaffen noch in Europa nötig seien. Sie stehen zur Disposition, falls auch Russland seine Kurzstreckenwaffen abzieht – was es aber auf keinen Fall tun wird.

So ändert sich am Status Quo nichts. Insgesamt also gab es beim bisher größten Treffen in der Geschichte der Nato zwar viel Einigkeit – aber doch deutlich weniger als erhofft.