Frankreich verliert seine Steuerzahler

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Nicht nur der Schauspieler Gérard Dépardieu hat die Nase voll. Viele Franzosen wollen kein Vermögen mehr an das Finanzamt zahlen und wandern ab.

Die französische Finanzverwaltung ist nicht sehr gesprächig, wenn es sich darum handelt, Daten über Wanderungen von Steuerpflichtigen zu veröffentlichen. Sie erzählt lieber, dass es ihr gelungen sei, 40.000 Franzosen davon zu überzeugen, ihr Schwarzgeld zu deklarieren und im laufenden Jahr gut vier Milliarden Euro als Sondereinnahmen verzeichnen zu können. Es sind außerordentliche Einnahmen, die sich nur teilweise verstetigen lassen.

Stetig ist allerdings die Zahl der Franzosen, die ihr Land in Richtung steuerfreundliche Regionen verlassen. Ihre Zahl stieg von 2012 bis 2013 um 40 Prozent an. Das ist prozentual viel, scheint in absoluter Zahl aber nicht herausragend zu sein. Tatsächlich haben nach einer von der französischen Wirtschaftszeitung Les Echos veröffentlichten Statistik im Jahre 2013 „nur“ 3.774 Franzosen Frankreich verlassen, um ihre Steuern in einem anderen Land zu bezahlen. Die Regierung beruhigt daher auch. Denn mitten in der Sommerpause ist das Thema geeignet zu einer Polemik zwischen den bürgerlichen Republikanern und den Sozialisten. Tatsächlich werfen die einen den anderen vor, die steuerliche Basis Frankreichs mit ihrer Politik zu schädigen. Die anderen verweisen darauf, dass man in Frankreich immerhin 37 Millionen Steuerpflichtige habe und die Zahl von 3.774 den Steuereinnahmen des Staates nicht schaden könne.

„Unerträgliche Steuerbelastung“

Weder das eine noch das andere ist richtig. Frankreich dreht seit 2011 an der Steuerschraube. Schon Staatspräsident Nicolas Sarkozy wusste nicht mehr, wie er die Anforderungen eines auszugleichenden Staatshaushaltes mit den erforderlichen Ausgaben und gleichzeitig zu reduzierender Schuldenlast verbinden konnte. Sarkozy tat das, was er heute mit seiner Partei den Sozialisten vorwirft. Er höhte die Steuerlast für Einkommen über 250.000 Euro mit einer Sondersteuer von drei Prozent. Seit 2012 erhöhte die Regierung von Staatspräsident Francois Hollande die Steuerlast dermaßen, dass selbst der dafür verantwortliche Finanzminister Pierre Moscovici von einer „unerträglichen Steuerbelastung“ sprach.

Andererseits ist die Argumentation der französischen Regierung zur Zahl der Steuerpflichtigen nur eine halbe Wahrheit. Sie hat gerade eine zuvor im Jahre 2012 beschlossene Steuererhöhung zurückgenommen und verkauft nun als Wohltat, was zu vor als Grausamkeit empfunden worden war. Neun Millionen Steuerpflichtige, die zuvor keine Steuern zahlten, dann zahlen mussten, werden nun wieder freigestellt. Insgesamt zahlt in Frankreich nur jeder zweite Haushalt Einkommensteuer. Das sind um die 18 bis 19 Millionen.

Abwanderer verdreifacht

Dann sind 3.774 immer noch wenig. Und dennoch gibt es in Paris Anlass zur Sorge. Ihre Zahl hat sich in den vergangenen fünf Jahren verdreifacht. Und: Wer Frankreich verlässt, verdient in der Regel über 100.000 Euro. Der Franzose, der 2013 sein Land verließ, verzeichnete ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 265.832 Euro. In der Gesamtgruppe der Franzosen, die jetzt ihr Land verlassen gibt es eine Steigerungsrate von 45 Prozent mit einem jährlichen Einkommen von über 300.000 Euro Einkommensteuer. Und weiter befinden sich in der Gesamtgruppe 714 Steuerpflichtige, die Vermögenssteuer bezahlen müssen. Nicolas Sarkozy hatte versucht, durch eine Anhebung des Vermögens von 800.000 auf 1,3 Millionen Grundsumme, von der an die Vermögenssteuer fällig wird, die Abwanderung zu stoppen. Es gelang nur zeitweilig. Unter den abgewanderten Steuerbürgern im Jahr 2013 stieg die Zahl derjenigen, die eine Reichensteuer zahlen müssen, um 15 Prozent an.

Die Abwanderung der steuerpflichtigen Franzosen ist kein Massenphänomen, aber sie ist stetig. Volkswirte in Frankreich meinen, dass in den vergangenen fünf Jahren alleine durch die Abwanderung großer Vermögen dem französischen Staat zehn Milliarden Steuern entgangen sind. Tatsächlich wandert derzeit der Mittelstandsbauch ab, der seit 2012 in der Einkommensteuer besonders belastet wird. Vorgeworfen wird der Regierung, dass sie bei den Entlastungen nicht an den bürgerlichen Mittelstand und an die Vermögen gedacht hat. Gerade hier aber ist Frankreich besonders verwundbar. Ein Prozent der wirklich reichen Franzosen bezahlt 45 Prozent der Einkommensteuer. Zehn Prozent der steuerpflichtigen Franzosen stehen für 70 Prozent der Einkommensteuer. Frankreich erlebt eine stetige Erosion der Basis der Einkommensteuer durch die anhaltende Abwanderung, die durch die Strafzahlungen der Steuersünder nicht ausgeglichen werden kann.

Der liberale Bürgermeister der Pariser Vorstadt Neuilly, Jean-Christophe Fromantin geht abends durch die Straßen seiner Stadt und zählt die lichtlosen Häuser, die zu verkaufen sind. In Neuilly hängt man kein Schild „zu verkaufen“ ins Fenster. „Die Leute gehen, aber es kommt niemand“, sagt er. Und zählt auf, wo er seine Bewohner mittlerweile wiederfindet: „ Singapur gefällt den Unternehmern. In Belgien finden sich die Leute wieder, die keine Steuern zahlen wollen. Silicon Valley zieht die neuen Technologien an. London wird von Geschäftsbankiers und Fusionsspezialisten bevorzugt. Und die ganz Reichen gehen nach wie vor in die Schweiz.“ Fromantin beschreibt beschreibt so, warum die Abwanderung wirklich schlimm ist: Frabkreich verliert nach und nach seinen dynamischen Mittelstand. Die Folge für Neuilly: Wer mehr als zwei Millionen für sein Heim im Großraum Paris ausgeben will, der wird dort schnell fündig.

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