„Es war kein Wundermittel“

„Es war kein Wundermittel“
(AFP)

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Die für den Pandemiefall gehortete Arznei Tamiflu ist kaum besser als ein Placebo. Das belegen neuen Daten. Auch in Luxemburg sitzt man auf der Pille und war schon damals skeptisch.

Eine Gruppe internationaler Wissenschaftler bezweifelt die Wirksamkeit des Roche-Grippemedikaments Tamiflu. Das Medikament wirke nur schwach, erklärten Wissenschaftler des Forschungsnetzwerks Cochrane Review in einer Untersuchung, die am Donnerstag im „British Medical Journal“ veröffentlicht wurde. Nebenwirkungen
wie Schnupfen, Kopfschmerzen und Brechreiz seien bisher zu wenig beachtet worden.

Im Vergleich zu einem Placebo verkürzt Tamiflu eine Grippe-Erkrankung um genau einen halben Tag. Das Medikament sei „hinausgeworfenes Geld„, so die Studieinternationaler Wissenschaftler. Der Roche-Konzern, der mit Tamiflu
Milliarden-Umsätze machte, wies die Schlussfolgerungen der Wissenschaftler zurück. Tamiflu sei weltweit von 100
Aufsichtsbehörden geprüft worden. Es sei ein effizientes Medikament zur Behandlung und Vorbeugung von Grippe, erklärte der Basler Konzern. Die Wissenschaftler hätten nur 20 von insgesamt 77 Tamiflu-Studien berücksichtigt.

Luxemburg sitzt auf dem Medikament

Auch Luxemburg kaufte das Medikament für einen möglichen Pandemiefall. Ab 2005, beim Aufkommen der Vogelgrippe, orderte der Luxemburger Staat tausende Tamiflu-Pillen. Zunächst sollten 20 Prozent der Bevölkerung damit eingedeckt werden. 2009, die Schweinegrippe greift im Land um sich, wird das Medikament verteilt. Noch heute sind die Bestände in Luxemburg gefüllt. Man blieb sozusagen auf der Pille sitzen.

„Wir wussten schon damals, dass es kein Wundermittel war. Es war aber das Beste, was auf dem Markt war“, erklärt am Donnerstag die Direktorin im Gesundheitsministerium, Dr. Danielle Hansen-Koenig, gegenüber dem Tageblatt. Wie hoch damals die Kosten für die Beschaffung des Medikaments waren, weiß die Experten nicht.

„Hinausgeworfenes Geld“

Das Medikament wurde bei Roche zu einem Umsatzrenner, nachdem 2003 in Hongkong das Vogelgrippe-Virus entdeckt wurde und 2009 die Angst vor einer Schweinegrippe-Pandemie umging. Viele Regierungen legten Notvorräte an. Allein die amerikanische
Regierung kaufte Tamiflu für mehr als 1,3 Milliarden Dollar. Deutschland blieb auf Tamiflu im Wert von 240 Millionen Euro sitzen.

Die Daten würden zeigen, dass Tamiflu eine Grippe im Vergleich zu einem sogenannten Placebo-Mittel höchstens um gut einen halben Tag verkürze und Nebenerkrankungen wie Lungenentzündung und Ohreninfektionen nicht verhindere, sagt jetzt der Oxford-Professor Carl Henegan. Nach der Umsatzspitze bei fast drei Milliarden Dollar im Jahr 2009 gingen die Verkäufe zurück. Im letzten Jahr nahmen die
Basler mit Tamiflu umgerechnet noch gut 700 Millionen Dollar ein.

Jahrelanger Streit

Der nun veröffentlichten Studie ging ein mehrjähriger Streit voraus. Die Cochrane-Wissenschaftler warfen Roche vor, Tamiflu-Untersuchungsergebnisse zurückzuhalten. Ein Sprecher der Schweizer Medikamenten-Zulassungsbehörde sagte, es gebe „keinen
akuten oder dringlichen Anlass“, die Anwendungsvorschriften für das Medikament zu ändern. Nach Ansicht der EU-Arzneimittelbehörde (EMA) ändert die Cochrane-Studie nichts daran, dass der Nutzen von Tamiflu die Risiken überwiegt.