„Eine Kakophonie vermeiden“

„Eine Kakophonie vermeiden“
(Reuters/Russell Boyce)

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Bleibt Großbritannien Teil der EU oder kommt es zum Brexit? Europas Institutionen wappnen sich für einen möglichen Austritt der Briten.

Angesichts des drohenden Brexit ist die EU in höchster Alarmbereitschaft: Mitgliedstaaten, die Brüsseler Institutionen und die Europäische Zentralbank (EZB) bereiten sich intensiv auf die Zeit nach der Volksabstimmung der Briten über den Verbleib in der EU vor – auch wenn alle hoffen, dass der Brexit nur eine Befürchtung bleibt und nicht Wirklichkeit wird.

„Wichtig ist es für den einen wie den anderen Fall, eine gemeinsame Kommunikation sicherzustellen“, sagt ein Diplomat. Es gehe darum, „eine Kakophonie zu vermeiden“. Die Tage nach dem Votum werden deshalb von emsiger Betriebsamkeit geprägt sein: „Da werden einige Leute intensiv arbeiten müssen – manche in Brüssel, manche in den Hauptstädten.“

Zahlreiche Treffen

Die Krisenmanager der EZB dürften am Freitag schon früh morgens in den Startlöchern stehen. Die Zentralbank hat umfangreiche Vorbereitungen getroffen, um bei Finanzmarktturbulenzen eingreifen zu können. EZB-Chef Mario Draghi sagte am Dienstag, wichtig sei, dass nötigenfalls die Märkte stabilisiert werden könnten.

Auf politischer Ebene steht für Tag eins nach der Entscheidung der Fahrplan weitgehend fest: Als erstes kommen am Freitag um 09.00 Uhr die Fraktionsvorsitzenden der Parteien im Europaparlament zusammen. Um 10.30 Uhr treffen sich dann mit Kommissionschef Jean-Claude Juncker, Ratspräsident Donald Tusk und Parlamentspräsident Martin Schulz die Spitzen der EU-Institutionen. Teil nimmt auch der niederländische Regierungschef Mark Rutte, dessen Land die halbjährlich wechselnde EU-Ratspräsidentschaft innehat.

Luxemburg am Tisch

Am Nachmittag (14.00 Uhr) tagt der Rat für allgemeine EU-Angelegenheiten in Luxemburg. Seine Sitzungen werden normalerweise von den Europa-Staatssekretären wahrgenommen – dieses Mal reisen voraussichtlich auch mehrere Außenminister an, um über die Folgen des britischen Votums zu beraten.

Im Gespräch ist ein Treffen der sozialdemokratischen Chefdiplomaten, darunter Jean Asselborn. Für Samstag ist in Berlin ein Treffen der Außenminister der sechs EU-Gründerstaaten in Planung. Das sind Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Belgien, Niederlande und Italien.

Auf Konzeptsuche

Möglich ist auch eine Sondersitzung der EU-Kommission am Wochenende. Für ihre Rechtsexperten wurde bereits eine Urlaubssperre für Juli verhängt – denn der Austritt eines Mitgliedsstaates wäre juristisch vollkommenes Neuland. Das EU-Parlament könnte dann am Montag oder Dienstag eine Sondersitzung abhalten, um die Lage im Plenum zu bewerten.

Bis zum EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs am Dienstag und Mittwoch soll dann ein klares Konzept stehen, wie mit der Situation umgegangen wird. Zu Großbritannien steht im Entwurf der Gipfel-Schlussfolgerungen unter der Überschrift „Ergebnis des Referendums im Vereinigten Königreich“ bisher nichts.

Schwierige Debatte

Bei einem Brexit müsste die Londoner Regierung spätestens beim Gipfel offiziell den Austritt erklären. Damit würden zweijährige Verhandlungen mit der EU über die Ausstiegsmodalitäten beginnen. Bleiben die Briten in der EU, wird Premier David Cameron auf eine schnelle Umsetzung der im Februar vereinbarten EU-Reformen pochen.

Dazu gehören die Beschränkung von Sozialleistungen für EU-Ausländer, mehr Rechte für nationale Parlamente und eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Doch Cameron hat nun angekündigt, dass er insbesondere bei der Zuwanderungsbeschränkung mehr will. „Ich denke, die Reformen werden nicht am 23. Juni enden“, sagte er am Dienstag. Damit würde der EU erneut eine schwierige Debatte über die Beschränkung der Freizügigkeit in Europa ins Haus stehen.