Eine Behörde sorgt für Ärger

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Die Rückzahlungen für die Kuren im Rehazenter fallen aus und immer mehr Menschen werden statt in die Invalidenrente zurück in die Betriebe geschickt. Die Gewerkschaften, Unternehmer und die Patientenvertretung kritisieren eine Behörde im Sozialversicherungsministerium.

Tom (Name von der Redaktion geändert) hat einen Bruder, der vor zwei Jahren einen Schlaganfall erlitten hat. Er wurde operiert und war seitdem regelmäßig im Rehazenter in Luxemburg-Stadt, um wieder auf die Beine zu kommen. Das Rehazenter wollte ihn kontinuierlich auf ein Ende der Kur vorbereiten und beantragte eine Verlängerung für den Patienten. Am 7. Mai erhielt Toms Bruder einen der Redaktion vorliegenden Brief.

In diesem steht, dass die Krankenkasse die Kosten nicht mehr übernimmt. „Die Psychologen, die die Menschen mit Schlaganfall begleiten, haben uns klar gesagt, dass sie eigentlich ein paar Monate Zeit brauchen, um die Menschen auf das Ende der Kur vorzubereiten“, so Tom dem Tageblatt gegenüber. Das ginge nicht von einem Tag auf den anderen.

Angst vor Entlassungen

Auch in dem Gutachten der Ärzte steht, dass es dem Patienten besser gehe, dass er nun aber nach und nach auf eine komplette Einstellung vorbereitet werden müsse. Die Direktion des Rehazenters war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Toms Bruder ist nicht der Einzige, der betroffen ist. Die Gesundheitskasse wurde kürzlich zurückhaltender mit der Rückerstattung der Kuren. Laut unseren Informationen haben schon Treffen zwischen Ärzten aus der Rehaklinik und dem Ministerium stattgefunden. Es kämen viel weniger Patienten als zuvor, sodass man im Rehazenter anfange, sich Sorgen zu machen. In der Belegschaft gehe auch wegen der zurückgehenden Zahl an Patienten und somit an Kunden die Angst vor Entlassungen um.

Zum Leidwesen der Patienten

Das Rehazenter hat ein Übereinkommen mit der Krankenkasse. Darin stehen die Bedingungen, die eingehalten werden müssen, damit einem Patienten die Kur zurückerstattet wird. „Dieser Regelrahmen wurde immer eher locker gehandhabt“, erzählt René Pizzaferri, Präsident der Patientenvertretung. Die Entscheidungen seien von Fall zu Fall getroffen worden.

Laut Pizzaferri habe die Krankenkasse allerdings in letzter Zeit eine andere Strategie gefahren. Sie würde das Übereinkommen aufs Wort umsetzen und nur noch in wenigen Fällen die Kosten für die Reha übernehmen. „Ganz zum Leidwesen der Patienten“, so Pizzaferri. Ihm seien ein Dutzend Fälle von Patienten bekannt, denen die Rückzahlungen gestrichen wurden. „Und das sind nur die, von denen ich weiß“, fügt er hinzu.

Schlechtes Image

Wessen Kur rückerstattet wird, darüber entscheidet der „Contrôle médical“ der Krankenkasse. Die Betroffenen aus allen Lagern verlieren kein gutes Wort über die Behörde.

Doch nicht nur in der Rehaklinik und bei ihren Patienten geht die Sorge um, wenn vom „Contrôle médical“ die Rede ist. Das Gleiche gilt für die Menschen, die wegen einer Verletzung oder einer Krankheit vom „Reclassement“ betroffen sind. Diese Prozedur wird gestartet, wenn jemand zwar seine jetzige Arbeit nicht weiter ausführen kann, jedoch an sich noch arbeitsfähig ist.

Keine Ausnahmen

Aus Gewerkschaftskreisen erfuhr das Tageblatt von einem Fassadenbauer, der an der Schulter operiert wurde. „Er konnte seine Arme nicht mehr gut heben“, so die Aussage. Der „Contrôle médical“ habe ihn zurück in seinen Betrieb geschickt. Er sei noch arbeitsfähig, wurde geurteilt. Dass er seinen ursprünglichen Job nicht mehr ausführen könne und wohl auch bei anderen Jobs Schwierigkeiten haben werde, sei ignoriert worden.

Er war nicht lange im Betrieb, weil er nicht mehr als Fassadenbauer eingesetzt werden konnte. Der Arbeitsarzt ließ ihn zurück zum „Contrôle médical“ schicken, der die „Reclassement“- Prozedur in die Wege geleitet hatte. Während dieser Prozedur, die in der Regel zwei bis drei Monate dauert, wird entschieden, welche Arbeiten der Betroffene noch ausführen kann. Wieder sei der Fassadenbauer keine Ausnahme. Immer wieder würden Menschen, die offensichtlich nicht mehr arbeiten können, in die Betriebe geschickt. „Wir haben beim ‚Reclassement‘ das Problem, dass den Menschen während der Prozedur kein Krankenschein ausgeschrieben wird“, so Pizzaferri. Die Menschen würden dann zurück in ihre Unternehmen geschickt, um das Ende der Prozedur abzuwarten. Die Erklärung des Ministeriums laut Pizzaferri: Wenn man im „Reclassement“ sei, bedeute das ja, dass man nicht vollständig arbeitsunfähig sei.

Kritik am Gesetz

Nicht nur die Patienten und die Gewerkschaften beschweren sich über die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Behörde. Auch in Unternehmerkreisen werden der „Contrôle médical“ und seine Auslegung des Gesetzes kritisiert. Eigentlich mache die Behörde nichts falsch, wurde dem Tageblatt berichtet, doch das Gesetz sei nicht durchdacht und wenn man sich so strikt daran halte, bereite das nur Probleme.

Seit Anfang letzten Jahres müssen Unternehmen mit über 25 Mitarbeitern firmenintern eine neue Arbeit für die vom „Reclassement“ Betroffenen finden. Sonst sind Strafzahlungen an das Ministerium fällig. Weil so viele Menschen „reklassiert“ würden, statt in Invalidenrente zu gehen, würden die Betriebe einfach keine neuen Arbeitsplätze finden. „Stellen Sie sich vor, ein Unternehmen hat einen ‚Reclassement‘- Fall, diese Person wird dann noch möglicherweise firmenintern in einem Büro unterkommen. Bei einer zweiten Person wird es aber schon deutlich schwieriger“, so eine Aussage. Das Resultat sei, dass sie entlassen und dem Arbeitsamt übergeben werden.

Minister ahnungslos

Weil der „Contrôle medicale“ in letzter Zeit immer mehr Menschen zurück in die Betriebe statt in Invalidenrente schicke, würde dieser Fall immer öfter eintreten. Auch bei den Gewerkschaften macht man sich darüber Sorgen. Einige Menschen, die offensichtlich an der Grenze zur Invalidenrente seien, würden einfach ins „Reclassement“ geschickt.
Wir haben den Sozialversicherungs-Minister Romain Schneider, direkter Vorgesetzter der Behörde, mit den Vorwürfen gegenüber dem „Contrôle médical“ konfrontiert. „Mir war nicht bewusst, dass es ein Problem mit dem Rehazenter gibt“, so der Minister. Er wisse nichts von einem Treffen zwischen seinem Ministerium und Ärzten aus der Klinik. „Sollte es aber Probleme geben, bin ich bereit, mich mit den Leuten aus dem Rehazenter zu treffen.“

Er halte sich aus medizinischen Gutachten heraus, finde aber, dass man mit „gesundem Menschenverstand“ an diese Fälle herangehen müsse. Eine Änderung der Strategie habe es sicherlich nicht gegeben: „Die Ärzte versuchen im Gegenteil seit der Reform der Behörde, nicht nur eine Entscheidung zu treffen, sondern die Menschen auch zu beraten.“
Beim „Reclassement“ gibt er zu, dass an dem Gesetz noch gefeilt werden müsse. Der Minister spricht von „ein paar Verbesserungen“, die noch „mit allen Betroffenen“ ausgearbeitet werden müssen. Ein Sprecher des Ministeriums hatte dem Tageblatt gegenüber die gleiche Aussage getätigt.

Kein Kommentar

„Das Ziel ist es aber, so viele Menschen wie möglich zurück in die Arbeitswelt zu bringen“, so Schneider. Aber auch hier würde er sich aus den medizinischen Gutachten heraushalten. Zu der von den Gewerkschaften und Unternehmern geäußerten Kritik an der Kooperationsbereitschaft der Behörde will er sich nicht äußern: „Wenn es Probleme mit meinen Beamten gibt, dann regele ich die intern mit meinen Beamten“, sagte Schneider. „Das gehört nicht in die Öffentlichkeit“.

Sind Sie auch davon betroffen? Schreiben Sie mir:
nwildschutz@tageblatt.lu