Ein konservativer Liberaler

Ein konservativer Liberaler
(AFP/Christophe Archambault)

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Auf dem Ticket hatte ihn niemand. Er galt als weich, als unentschlossen, und ohne Profil. Am vergangenen Sonntag gewann Francois Fillon die erste Runde der Vorwahlen zur Präsidentschaftskandidatur der Konservativen in Frankreich. Wer ist der Mann ?

Francois Fillon (Link) ist 62 Jahre alt, verheiratet und hat fünf Kinder. Er hat die klassischen französischen Studien absolviert, war lange Bürochef von Ministern und zog im Alter von 28 Jahren als jüngster Abgeordneter in die Pariser Nationalversammlung ein. Jetzt will er Frankreichs neuer Staatspräsident werden. Francois Fillon war fünf Jahre lang der Premierminister von Nicolas Sarkozy. Warum hielt gerade er durch mit einer der schwierigsten Personen der französischen Politik? Und : Warum wählte Nicolas Sarkozy gerade ihn zum Premieminister ?

Das mag an seinem äußeren Erscheinungsbild liegen. Francois Fillon ist nicht aufdringlich, eher zurückhaltend. Fillon ist in der Regel nicht polemisch. Er ist ein sachlicher Mensch, der selten aus der Haut fährt. Er erschien bisher als der Mann des Hintergrundes, auch wenn er fünf Jahre lang die Tagespolitik Frankreichs bestimmte. Francois Fillon galt eigentlich nicht als der Mann, dem man zutraute, Frankreichs nächster Staatspräsident zu werden. Und nun überrannte er alle, seinen ehemaligen Chef, Ex-Staatspräsident Nicolas Sarkozy, den er auf den dritten Platz verwies, aus dem Rennen warf und endgültig in die Rente schickte. Aber auch den ehemaligen Premierminister der 90er Jahre, Alain Juppé, Bürgermeister von Bordeaux, der mit 71 Jjahren als „neues“ Gesicht im Kampf um die fanzösische Prädidentschaft auftauchte.

Konservativer Revolutionär

Francois Fillon hat etwas, was erst im zweiten Augenschein sichtbar wird. Er ist eine Art konservativer Revolutionär und Liberaler, der sich für Selbstbestimmung, persönliche Freiheiten, für Gerechtigkeit einsetzt und auch für die Einsicht in die Notwendigkeit, als Politiker zum Wohle des Landes unpopuläre Maßnahmen durchsetzen zu müssen.

Die Gegensätzlichkeit dieser Begriffe vereinigt Fillon seit seiner Jugend. Im Collège versprühte er Reizgas, weil er sich während eine Aufsatzes langweilte. Im Gymnasium führte er 1971 eine Gruppe von Schülern an, die von ihrer Engflisch-Lehrerin verlangte, dass sie kündigen solle. Fillon wurde von der Schule verwiesen. Als es Solidaritätskundgebungen gab, wurde er wieder aufgenommen. Heutzutage fährt der 62-Jährige als Hobby 24-Stunden-Rennen für Oldtimer in Le Mans, der Hauptstadt des Départemens, in dem er zu Hause ist. Der junge Fillon, ohne Sorgen aufgewachsen – der Vater Notar, die Mutter Historikerin – im konservativen ländlichen Frankreich, verhehlt nicht, dass er dem konservativen Katholizismus nahesteht. Er sprach sich einst gegen ein Abtreibungsverbot aus, hat seine Schwierigkeiten mit der gleichgeschlechtlichen Ehe. Würde er Staatspräsident werden, würde er die bestehende Gesetzgebung gleichwohl respektieren, aber weitere gesetzliche Auswirkungen, wie etwa die Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Ehepartner, verhindern.

Der Mann, der leisen Töne

Der Mann mit der sonoren Stimme hat es nicht nötig, laut zu werden. Selbst wenn er sich in einer Wahlrede gegen Nicolas Sarkozy mit einer seiner seltenen Polemiken wendet, sagt er das so daher, dass man erst später merkt, was er denn da eigentlich von sich gegeben hat. Ob man sich vorstellen könne, dass es jemals ein Ermittlungsverfahren oder eine Anklage gegen General de Gaulle gegeben hätte, fragt er. Erst mit der Zeit wird deutlich, dass er mit großem Kaliber gegen Nicolas Sarkozy wie auch gegen Alain Juppé geschossen hat. Der eine wegen seiner andauernden Auseinandersetzungen mit der Justiz im Gespräch, der andere in politischer Funktion verurteilt, mit der ausdrücklichen Bemerkung, dass es sich nicht um die Person handele und er sich nicht persönlich bereichert habe.

Fillon hat in seiner Amtszeit als Premierminister Schwieriges geleistet. Er war der Partner von Nicolas Sarkozy in der Finanzkrise in den Jahren 2007 und 2008. Er arbeitete daran, dass das französische Bankensystem nicht zusammenbrach, schüttete Geld massenweise in die französische Wirtschaft, setzte für Frankreich mit einem Budget-Defizit von 7,5 Prozent den Mastricht Vertrag mit seinen Stabilitätskriterien außer Kraft. Würde er Staatspräsident, dann würde er dort seine Politik fortsetzzen. Sarkzozy hatte die deutsche Idee von einem Neuverschuldungsverbot für Frankreich anwenden wollen und war gescheitert. Fillon würde hier wieder ansetzen, um Frankreich zu stabilisieren.

Eine Passion für Journalismus

Dem Mann, der nach der verlorenen Präsidentenwahl im Jahre 2012 um de n Parteivorsitz der damaligen UMP betrogen worden war, hatte man damals auch vorgeworfen, nicht konsquent genug zu reagieren. Dabei hatte er schon die Fraktion der UMP gespalten, sie nachher – nach gefundenen Kompromissen – aber auch wieder zusammengeführt. Fillon kann, wenn es in seinen Augen nötig ist, Konflikte herbeiführen, sie durchstehen, aber auch lösen. Aber er geht sparsam mit dieser Fähigkeit um. Eigentlich wäre der Politikwissenschaftler auch lieber gar nicht Politiker geworden. Seine Neigung galt dem Journalismus. Während seines Studiums des öffentlichen Verwaltungsrechts und der Politikwissenschaften arbeitete er als Praktikant bei der Nachrichtenagnetur AFP und nahm sich vor, Journalist zu werden. Wäre da nicht der Abgeordnete Joel Le Theule gewesen, der den jungen Mann für die Politik entdeckte und ihn zu seinem Nachfolger machte,

Aus dem Lager Juppé wird nach Fillons Kantersieg im ersten Wahlgang aus allen Rohren auf ihn geschossen. Denn im Bereich der Wirtschaftspolitik, im Bereich der Sicherheitspolitik und im Bereich der Europapolitik geht Fillon für französische Verhältnisse sehr weit. Er will 500.000 Beamte abbauen, was aber nicht gleichzusetzen ist mit Entlassung. Er will das Beamtensysten verändern und dort, wo es nicht unbedingt nötig ist, auf Vertragskräfte setzen. (Man denke an seine Englisch-Lehrerin).

Verwaltungspolizisten und Steuersenkungen

Im Bereich der Sicherheitspolitik will er schlicht das System ändern. 20.000 Polizeibeamte sind nur mit Verwaltung beschäftigt. Statt 50.000 neue Polizisten einzustellen – was er auch beabsichtigt, in der Ausbildung aber drei Jahre dauert – sollen die 20.000 Verwaltungspolizisten wieder auf die Straße.

Am weitesten geht Fillon in der Wirtschaftspolitik. Steuersenkungen liegen in allen Ländern in der Luft. Fillon will von jetzt 33,3 Prozent auf 25 Prozent für die Unternehmensbesteuerung herunter. Das ist ein Wert, der – rechnet man die jeweils lokalen Steuern ein – nur knapp über Luxemburg oder Deutschland liegt, die ebenfalls an den Stellschrauben der Steuerpolitik arbeiten. Und: Fillon öffnet mit dieser Iniative und diesem Steuersatz den Weg zu einer europäischen Steuerdiskussion, der bisher durch die exorbitant hohen französischen Steuern verschlossen ist.

„Ich bin Euer Mann“

Fillon trägt in seinen Versammlungen diese Ideen als selbstverständlich vor, fügt sie ein in ein gedankliches Netz, das den Franzosen ein neues Frankreich vorstellt. Er arbeitet nicht mit Sorgen und Ängsten. Er argumentiert und erklärt. so zum Beispiel, dass Deutschland Europa gar nicht beherrscht, sondern darauf wartet, dass Frankreich einen neuen Partner für Frau Merkel findet, damit beide wieder zusammen arbeiten können.

In den drei Fernsehdiskussionen, die das öffentlich rechtliche und das private Fernsehen den Franzosen zum partei-internen Wahlkampf lieferte, kam diese ruhige, unaufgeregte, klare Argumentation an. Fillon sagte es nicht, aber er zeigte es: „Ich bin Euer Mann“. Von den vier Millionen Franzosen – knapp zehn Prozent des französischen Wahlvolkes – sprachen sich 44 Prozent für ihn aus. Seitdem ist er Zielscheibe, argumentiert aber unbeirrt und ruhig weiter. Francois Fillon will am kommenden Sonntag die interne Stichwahl gewinnen und die Chance bekommen, Frankreich zu verändern.