Ein Gedicht erhitzt die Gemüter

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Nach seiner scharfen Kritik an Israels Atompolitik geht die Debatte um Literaturnobelpreisträger Günter Grass und seine Äußerungen weiter. Dabei stößt der 84-Jährige vorwiegend auf heftigen Protest, vereinzelt aber auch auf Zustimmung.

So meinte der israelische Historiker Tom Segev zum Deutschlandradio: „Er ist kein Antisemit, er ist nicht anti-israelisch.“ Der Präsident des deutschen Pen-Zentrums, Johano Strasser, verteidigte Grass ebenfalls. Er warne vor Waffenexporten an eine israelische Regierung, die den Anschein erwecke, ein Krieg gegen den Iran sei unausweichlich, sagte Strasser dem Radiosender NDR. Auch der Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck, nahm Grass in Schutz. „Ich kann die ganze Aufregung nicht verstehen“, sagte er der „Mitteldeutschen Zeitung“. Man müsse ein klares Wort sagen dürfen, «ohne als Israel-Feind denunziert zu werden». Die „reflexhaften Verurteilungen als Antisemit“ seien nicht angemessen.

Scharfe Kritik dagegen gab es von dem Publizisten Henryk M. Broder. Er nannte Grass in der „Welt“ den „Prototypen des gepflegten Antisemiten“. Er warf ihm zudem vor, im fortgeschrittenen Alter zu seinen Anfängen zurückgekehrt zu sein: „Damals war er ein SS-Mann, heute schreibt er wie einer“, sagte Broder dem Saarländischen Rundfunk.

„Jedes antisemitische Klischee“

Der Text wäre in der rechtsradikalen „National-Zeitung“ „gut platziert“ gewesen, empörte sich auch der deutsch-jüdische Historiker Michael Wolffsohn im Interview mit Spiegel-Online. In dem Gedicht stehe „so ziemlich jedes antisemitische Klischee darin, das man aus der rechtsextremen Ecke kennt“.

In einem Beitrag für die „Bild“-Zeitung schrieb der Vorstandsvorsitzende des Medienhauses Axel Springer, Grass versuche „im raunenden Ton des Moralisten“ die Schuld der Deutschen am Holocaust zu relativieren, indem er die Juden zu Tätern mache. Unter dem Titel „Der braune Kern der Zwiebel“ schrieb Döpfner, es gehe jetzt nicht mehr darum, was Grass gesagt habe, sondern nur noch, wie die Deutschen darauf reagierten.

„Machwerk des Ressentiments“

In dem Echo auf das Gedicht spielt auch die Tatsache ein Rolle, dass Grass seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS Jahrzehnte verschwiegen hatte und erst 2006 in seinen Memoiren offenbarte. Der Mitherausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Frank Schirrmacher, sprach von einem „Machwerk des Ressentiments“. Grass würde es sicher gerne sehen, dass nun eine Debatte entsteht, ob man als Deutscher Israel kritisieren dürfe, meint Schirrmacher. Die Debatte müsse aber darum geführt werden, ob es gerechtfertigt sei, die ganze Welt zum Opfer Israels zu machen, nur damit Grass „seinen Frieden mit der eigenen Biographie machen kann“, schrieb Schirrmacher in der „F.A.Z.“.

Der Verleger der Werke von Günter Grass in Israel hat indes das Recht des deutschen Autors betont, seine Meinung frei zu äußern. „Wir stehen zu ihm als Schriftsteller. Zu seinem Gedicht äußern wir uns aber nicht“, sagte Ziv Lewis vom Verlagshaus Kinneret in Tel Aviv der Nachrichtenagentur dpa am Donnerstag.

Top bei Twitter

Das hat ein Gedicht bisher noch nicht geschafft: Die als Lyrik präsentierte Kritik von Günter Grass ist seit Mittwoch zum Top-Trend im Internet-Dienst Twitter geworden. Der von der „Süddeutschen Zeitung“ und mehreren Blättern im Ausland veröffentlichte Beitrag mit dem Titel „Was gesagt werden muss“ stieß in der gern besonders bissig kommentierenden Twitter-Szene überwiegend auf Kritik, oft auf empörte Ablehnung. Auch im Ausland wurde heftig mitdiskutiert.

Einen Tag nach der Veröffentlichung seines umstrittenen Israel-Gedichts wird sich Grass am Donnerstagabend erstmals zu dem Text und den Reaktionen äußern. Wie sein Sekretariat in Lübeck der Nachrichtenagentur dpa sagte, werde Grass das Gedicht „Was gesagt werden muss“ für die ARD-Tagesthemen vortragen und dabei einige Fragen beantworten. Auch Mitarbeiter des ZDF-Kulturmagazins „aspekte“ werde er in Lübeck empfangen.