/ Die Wirtschaft ist der Sockel Europas
Der Beweis: Ein Seminar zu Wachstumsmöglichkeiten in der Großregion mit Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Themen und dem Kommissar Michel Barnier, der sein Manuskript zur Seite legte und aufgeräumt Wahrheiten über Europa erzählte.
Die Großregion war ursprünglich eine klar umrissene Einheit, bestehend aus dem Saarland, dem Mosel-Département, Luxemburg und der wallonischen Provinz Luxemburg. Mit der Zeit wurde ganz Lothringen daraus und ganz Rheinland-Pfalz. Ihre Grenzen bemessen sich nach den Hauptstädten Namur, Metz, Saarbrücken und Luxemburg. Dass dieses Gebiet zu groß ist, weiß eigentlich jeder und wurde am Donnerstag bei dem Seminar der Handelskammer zusammen mit der Vertretung der Europäischen Kommission in Luxemburg deutlich. Über Luxemburg hinaus waren nur wenige Teilnehmer gekommen.
Internationale Einbindung
„Luxemburg“, sagte Michel Wurth in seiner Rolle als Präsident der Handelskammer “kann nicht nur von seinem Binnenmarkt leben. Die ganze Wirtschaftsgeschichte Luxemburgs ist gekennzeichnet von seiner internationalen wirtschaftlichen Einbindung. Wir hatten seit 1842 die Zugehörigkeit zum 1834 gegründeten Zollverein. Am Ende des Ersten Weltkrieges gab es die Belgolux Union, die hielt bis zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.
Das war die Zeit, in der Belgier in die Finanzwelt, die Versicherungen und in die Industrie investierten. Und dann kam die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, EGKS (frz: CECA), die als erste europäische Gemeinschaft die Grundlage für die spätere EWG und heutige Europäische Union bildete. In der letzten Konsequenz haben wir aus dieser Entwicklung nun die Währungsunion mit dem Euro“, zählte Wurth geschichtliche Entwicklungen auf. „Diese Phase hat uns zeitweilig zum fünftgrößten Produzenten von Eisenerz und zum siebtgrößten Stahlproduzenten gemacht“. Wurth weiter: „Aus dieser Erfahrung heraus ist Luxemburg Vertreter des Euro.“
44 Prozent Nicht-Luxemburger
Der luxemburgische Mittelstand hat stets über die Grenzen des Landes hinaus geschaut und gearbeitet. Wurth: „Unter den Einwohnern befinden sich heute 44 Prozent Nicht-Luxemburger. Die Wirtschaft beschäftigt 42 Prozent Grenzgänger unter ihren Mitarbeitern. Das sind 25 Prozent aller Grenzgänger in der Europäischen Union. Die Großregion“, so Wurth, „ist ein außerordentliches europäisches Labor, in dem Erfahrungen für ganz Europa gesammelt werden.“ Wurth ließ keinen Zweifel daran, dass diese grenzüberschreitende Arbeit Wachstumsmotor ist.
Das Seminar von Handelskammer und EU-Kommission beschäftigte sich in vier Foren mit Wachstumsfragen in der Großregion. Der Präsident des Wirtschafts- und Sozialrates, Roger Cayzelle aus Lothringen zögerte dabei nicht, Mängel aufzuzeigen. Es gäbe eine große Trägheit der Institutionen in der Großregion. So habe beispielsweise der Präsident der Region Lothringen zu Beginn seiner Präsidentschaft sich für die Großregion eingesetzt, sich dann aber darin verloren. „Die Institutionen in den einzelnen Teilregionen haben Schwierigkeiten zu sehen, womit sich die Menschen, die die Großregion verwirklichten, täglich herumschlagen müssten.
„In Wirklichkeit“, sagte Cayzelle, „fehlt die Ambition, aus der Großregion etwas zu machen.“ Dabei würde es ja an Projekten nicht mangeln. Die Entwicklung von Belval zum Beispiel könne man grenzüberschreitend sehen. Der Chinapark Terralorraine nahe der luxemburgischen Grenze, könne ein Projekt für mehr als eine Region sein. Man könnte auch versuchen, die einzelnen regionalen Flughäfen zu koordinieren, müsste Infrastrukturen ausbauen und cluster grenzüberschreitend sehen. Dazu fehle der Großregion aber schlicht der Atem.
Funktionierende Institutionen herstellen
Georges Bingen, Leiter der Vertretung der EU-Kommission verwies auf andere Anforderungen. Die funktionierenden Institutionen in der Großregion müssten hergestellt werden. Die Frage der „abgeordneten Mitarbeiter“ müsste geklärt werden. Man könne feststellen, dass die Löhne durch Arbeiter aus dem Ausland nach unten gezogen würden. Im Bereich der Elektronik schuf ein Experte in einem Forum Klarheit. Tatsächlich würde die Besteuerung von Einkäufen im Internet von 2015 nach den Steuersätzen des Bestellerlandes erfolgen. Aber dafür müssten sich die Unternehmen in Luxemburg nun nicht mit 27 verschiedenen Steuerverwaltungen auseinandersetzen. Man könne mit nur einer Steuerverwaltung arbeiten. Auf die Luxemburger Fiskalverwaltung kommt Arbeit zu.
Der EU-Kommissar für den Binnenmarkt, Michel Barnier, war als Politiker bereits bekannt, als der Generaldirektor der Handelskammer, Pierre Gramegna, in seinem ersten Semester Jura in Paris war. Barnier seinerseits hat im Alter von 14 Jahren Charles de Gaulle erlebt. Im Jahr, in dem der 50. Geburtstag des Elysée-Vertrages gefeiert wird, erinnert er sich daran, dass de Gaulle aus ihm einen leidenschaftlichen Europäer gemacht hat. „Heute kämpfe ich für Europa“, sagt er. Barnier war 17 Jahre lang der Präsident der Region Savoyen. Zusammen mit dem Ski-Star Jean Claude Killy hat er die Olympischen Spiele nach Savoyen geholt und in seiner Region organisiert. Barnier, obwohl später mehrfach Minister in Paris, hat nicht vergessen, was es bedeutet, als Regional-Verantwortlicher zu arbeiten und sich auf nationalen, internationalen und interregionalen Märkten zu tummeln.
Eine klare Bitte
Als EU-Kommissar hat er eine klare Bitte an die Veranstalter: „Listen Sie bitte auf, was Sie in diesem Seminar als nicht funktionierend festgestellt haben. Ich werde das Punkt für Punkt durchgehen.“ Barnier kommt aus Straßburg aus der Sitzung des EU Parlamentes und bricht eine Lanze für das Parlament: „Es ist genauso wichtig wie jedes nationale Parlament.“ Barnier will während seiner Amtszeit in die Regionen gehen und Hauptstädte besuchen. Seinen Besuch in Luxemburg nutzt er zu einem Gespräch mit Staatsminister Juncker. Er sei kein Super-Technokrat sondern ein Politiker, sagt er. Und er wisse, dass das Wachstum aus den kleinen und mittleren Betrieben kommt, mithin aus dem viel gelobten Mittelstand. Er wisse auch, dass die europäische Bewerbungsbürokratie mit den vielen Formularen die Firmen etwa 20 Prozent des zu erringenden Marktes koste und sich deswegen viele nicht daran beteiligten.
Barnier plädierte dafür, dass Europa seine Industrie behält und nicht abbaut. Kein Land könne nur von Dienstleistungen leben. In der globalen Welt würde Europa ohne Industrie zum Konsumenten der Waren aus anderen Kontinenten und würde nur noch die Rolle des Zulieferers spielen. Die Industrie sei der Sockel Europas und dürfe nicht zu Bruch gehen.
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