Die Teilung Frankreichs

Die Teilung Frankreichs
(AFP/Jeff Pachoud)

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Das Ergebnis des ersten Wahlgangs der Präsidentschaftswahlen in Frankreich zeigt eine Spaltung des Landes. Es löst das traditionelle Parteienverhältnis auf. Es spaltet schließlich die Parteien selbst.

Teilt man Frankreich in Farben ein, schwarz etwa für Front National und gelb möglicherweise für Emmanuel Macron, dann teilt sich das Land. Der Norden, der Osten und Südosten Frankreichs wäre schwarz, der Westen, die Bretagne wären gelb. Dazwischen die Farbtupfer der Städte, die sich entweder für den konservativen François Fillon oder für den sozial-liberalen Emmanuel Macron entschieden haben.

Auffällig: Städte wählen konservativ oder sozial-liberal, das Land häufig Front National. Industriegegenden ebenso häufig rechtsradikal. Im Mosel-Département hat der Front National seit den 90er Jahren seine Heimat, neuerdings aber auch in den landwirtschaftlichen Regionen. Rund um den Mont St. Michel hat in den Dörfern Marine le Pen die Nase vorn, in der Kreisstadt Pontorson aber François Fillon und Emmanuel Macron. Die Lage in der touristischen Region ist angespannt. Die Milchpreise und auch die Preise für Schweinefleisch sind im Keller. Die Bauern fürchten um ihre Existenz. Typisch andererseits: in der bretonischen Stadt Brest erhält Emmanuel Macron das beste Ergebnis überhaupt. Die Bretagne mag ihn trotz der langsamen Eroberung durch die Rechtsradikalen. Im Bereich der Industrie ist die Wählergunst für die Rechtsradikalen fast deckungsgleich mit dem industriellen Niedergang Frankreichs und mit Regionen hoher Arbeitslosigkeit.

Politisches System explodiert

Der Front National führt den industriellen Niedergang und die hohe Arbeitslosigkeit auf die Globalisierung und Europa zurück. Französische Journalisten hingegen verweisen auf falsche politische Entscheidungen über 30 Jahre hinweg in Frankreich. Arbeitslosigkeit und Industriepolitik gingen nicht auf Brüssel und nicht auf die Globalisierung zurück. Zum Beispiel sei es falsch gewesen, den TGV nach London im Dreieck über Lille und Calais zu führen und nicht diagonal über Amiens und Calais quer durch die Picardie.

Der erste Wahlgang zur Präsidentschaft des Jahres 2017 hat nicht nur politische Linien durch Frankreich gezogen. Er hat das politische System des Landes explodieren lassen. Die beiden politischen Gruppierungen, die seit 1958 das politische Leben bestimmen, sind nicht mehr im zweiten Wahlgang vertreten. Der nächste Präsident Frankreichs wird weder ein Sozialist sein noch ein Konservativer. Ein politisches Erdbeben.

Keine „republikanische Einheit“ mehr

Im Jahre 2002 hatte es eine ähnliche Situation gegeben. Damals verlor der Sozialist Lionel Jospin im ersten Wahlgang gegen Jean-Marie Le Pen. Das Land fand sich in einer „republikanischen Einheit“ wieder. Im zweiten Wahlgang errang Jacques Chirac gegen Jean-Marie Le Pen, Vater der heutigen rechtsradikalen Spitzenkandidatin, 80,2 Prozent.

Diese „republikanische Einheit“ existiert heute nicht mehr. François Fillon, wie auch Benoit Hamon, Kandidat der Sozialisten, haben noch am Wahlabend erklärt, dass sie Emmanuel Macron wählen würden und dazu aufgerufen, den sozial-liberalen Kandidaten zu wählen. Davon war am nächsten Morgen nicht mehr die Rede. Das Politbüro der konservativen Republikaner konnte sich nicht dazu durchringen, zur Wahl von Emmanuel Macron aufzurufen. Das Abschlusskommuniqué konnte sich gerade dazu durchringen, am 7. Mai zur Wahl „gegen Marine Le Pen“ zu stimmen. Der Name Macron wurde sorgfältig vermieden. Der Lothringerin Nadine Morano kam der Name Macron nicht über die Lippen.

Republikaner: Machtkampf unübersehbar

Ein Machtkampf innerhalb der Republikaner wurde unübersehbar. Alain Juppé, Bürgermeister von Bordeaux rief dazu auf, Macron zu wählen und nannte dazu Bedingungen, die seltsamerweise mit dem Wahlprogramm des Sozial-Liberalen übereinstimmten. Der ehemalige Staatspräsident Nicolas Sarkozy wird Macron im zweiten Wahlgang wählen. Er führte seine Anhänger bei einem Mittagessen zusammen. Danach stellte sich der Bürgermeister von Troyes und ehemalige Wirtschafts- und Finanzminister als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten vor. François Baroin hatte zu den ersten Konservativen gehört, die sich für Macron in der Stichwahl am 7. Mai aussprachen. Eine Kohabitation käme für ihn in Frage, aber keine Koalition, erklärte er.

Die Republikaner wollten sich in der Mehrheit ihrer Führungsriege nicht mit der Frage beschäftigen, ob der Kandidat oder das Programm oder die politische Linie die Verantwortung für die Niederlage von François Fillon trugen. Sie wollten auch nicht klären, ob das System der Primärwahl die Partei in eine Falle gelockt hatte. Sie kehrten die Niederlage unter den Teppich und wandten sich der im Juni anstehenden Wahl der Nationalversammlung zu, benannten stattdessen Direktoren für die Wahl oder einen Programmbeauftragten.

Sozialisten: 4 Millionen Flugblätter für Macron

Wie bei der Wahl 2012, die François Hollande gewonnen hatte, konnten sich die Konservativen nicht zu einer Analyse durchringen. Beobachter sind der Meinung, dass sich das spätestens nach der Wahl zur Nationalversammlung rächen wird. Teile der Konservativen würden sich zur Mehrheitsbildung im Parlament Macron zuwenden, heißt es.

Deutlicher in der Wahlaussage ging es bei den Sozialisten zu. Am Wahlabend hatte der Verlierer, Benoit Hamon, bereits zur Wahl des Gegners Macron aufgerufen. Am nächsten Tag verkündete Generalsekretär Jean Christophe Cambadélis, dass die Sozialisten sich ihrer „republikanischen Verantwortung“ bewusst seien. Die Partei verteilt vier Millionen Flugblätter mit der Aufforderung, Macron zu wählen.

Mélenchon demontiert sich

Der Ex-Premierminister Manuel Valls, sieht in dem Ergebnis des ersten Wahlgangs „das Ende eines Zyklus“. Die klassische Linke in Frankreich existiert nicht mehr. Die Sozialisten sind gespalten in eine sozialdemokratische Linie und in eine basisdemokratische, marxistischen Ideen nahe stehende Linie. Valls will aus den Sozialisten eine sozialdemokratische Partei machen. Seine Zeichen in Richtung Macron werden von dem aber bisher nicht honoriert.

Die wirkliche Linke ist die der „Franzosen, die sich nicht unterwerfen“ und auf dem vierten Platz landeten. Das Aushängeschild dieser Linken in Frankreich, Jean-Luc Mélenchon, demontierte sich am Wahlabend. Er nahm seine Niederlage nicht an. Anders als andere Kandidaten nahm er keine Stellung zu dem Kandidaten, den er am 7. Mai wählen würde. Er zweifelte das Wahlergebnis an. Er forderte die Mitglieder der Bewegung auf, bis zum Wochenende darüber zu entscheiden, wie er am 7. Mai abstimmen soll. „Schwaches Bild“, lauteten die Einschätzungen.

Frankreich wird System der Koalitionen lernen müssen

Die französische Parteienlandschaft wird sich nach dem Wahlgang des vergangenen Sonntag neu ordnen. Mit der Veränderung des Front National von einer rechtsextremen zu einer populistischen Partei, wie Marine Le Pen dabei ist, sie vorzunehmen, positioniert sich rechts von den Konservativen eine populistische, rechte Partei. Die Sozialisten werden nach der Präsidentenwahl nicht mehr die bestimmende Partei des linken Lagers sein. Neben ihnen wird sich eine linke Formation bilden.

Unsicher ist, was mit der Bewegung „En Marche!“ (Auf Geht’s) von Macron geschehen wird. Würde es ihr gelingen, um die 100 der 577 Sitze in der Nationalversammlung zu erringen, hätte Frankreich eine neue politische Mitte. Lager-Alleinregierungen wie bisher würde es nicht mehr geben. Frankreich wird nach den Wahlen zur Nationalversammlung im Juni 2017 das System der Koalitionen lernen müssen, wie es in parlamentarischen Demokratien oder auch konstitutionellen Monarchien wie Luxemburg geübt wird.