/ Die Schande eines Landes

(rob Griffith/AP)
Lange sah es so aus, als würden die mutmaßlichen Täter straffrei ausgehen. Doch nach fünf Jahren soll den zwei weißen Männern nun der Prozess gemacht werden.
Lynette Daley war längst tot, als die Polizisten am Tatort eintrafen. An einem einsamen Strand im Südosten Australiens fanden sie den nackten Leichnam der 33-Jährigen vor. Überall war Blut: an Daleys Beinen, auf einer notdürftig im Sand versteckten Matratze und an der Jeans einer der beiden Männer, die bei der Toten waren.
Anklage verweigert
Der Leichenbeschauer kam später zu dem Ergebnis, dass Daley an den Folgen eines brutalen Geschlechtsaktes verblutete. Sie muss dabei so stark alkoholisiert gewesen sein, dass der Sex kaum einvernehmlich gewesen sein kann. Dennoch blieben die beiden Männer fünf Jahre lang unbehelligt.
Obwohl Polizei und Gerichtsmediziner eine strafrechtliche Verfolgung von Daleys Begleitern forderten, verweigerten die Staatsanwälte eine Anklage. Erst im Juni willigten sie unter immensem Druck der Öffentlichkeit ein, den Fall vor Gericht zu bringen.
Einen offiziellen Grund für ihr zögerliches Vorgehen nannten die Ankläger nie. Doch für Daleys Eltern steht die Ursache mit schmerzlicher Klarheit fest: Ihre Tochter war Aborigine. Die beiden Verdächtigen sind Weiße. „Wenn zwei indigene Menschen das einem weißen Mädchen angetan hätten, säßen sie im Gefängnis“, sagt der Stiefvater der Toten, Gordon Davis.
Thema Rassismus
Der Tod der 33-Jährigen im Staat New South Wales erschütterte das Land, das sich lange vor einer Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus gegenüber Aborigines gedrückt hat. Der Anthropologe W.E.H. Stanner sprach einmal vom „Großen australischen Schweigen“.
Als Großbritannien im 18. Jahrhundert einen Anspruch auf Australien erhob, erklärte es das Gebiet zum Niemandsland und ignorierte damit die Tatsache, dass Aborigines dort schon seit mindestens 50 000 Jahren lebten.
Infolge der Vertreibung durch die Kolonisten und der Konfrontation mit neuen Krankheiten schrumpfte die indigene Bevölkerung drastisch. Heute machen Aborigines nur noch drei Prozent der insgesamt 24 Millionen Einwohner aus. Bei fast allen sozialen Indikatoren wie Wohlstand, Gesundheit und Beschäftigung liegen sie deutlich hinten.
Ureinwohner
„Die Schande dieses Landes ist sein Umgang mit den Ureinwohnern“, sagt Jan Barham, ein früherer Abgeordneter von New South Wales. „Lynettes Fall ist ein Beispiel für diese kulturelle Ignoranz oder für das Leugnen der Tatsache, dass wir das Leben und die Behandlung eines Aborigines nicht als gleichwertig ansehen.“
Lynette Daleys Leben war früh von Schicksalsschlägen geprägt. Schon als Jugendliche geriet sie in schlechte Gesellschaft und fing an zu trinken, wie ihre Mutter Thelma erzählt. Im Alter von 16 Jahren wurde sie zum ersten Mal schwanger. Sie bekam mehrere Kinder von verschiedenen Männern, die nach Angaben der Eltern oft gewalttätig waren. Gordon und Thelma nahmen die Jungen und Mädchen schließlich bei sich auf.
Innere Verletzungen
Im Alter von 33 Jahren lebte ihre Tochter als Obdachlose auf der Straße. Anfang 2011 brach sie mit den beiden nun Tatverdächtigen Adrian A. und Paul M. zu einer verhängnisvollen Fahrt an den abgelegenen Strand Ten Mile Beach an der Küste von New South Wales auf. Nach Erkenntnis der Ermittler tranken alle drei große Mengen Alkohol, Daley hatte laut Autopsie schließlich zwischen 3,0 und 3,5 Promille und dürfte damit völlig außer Gefecht gesetzt gewesen sein.
Beim anschließenden Geschlechtsverkehr zu dritt, den die Männer als einvernehmlich beschrieben, erlitt die 33-Jährige schwerste innere Verletzungen.
Kurz vor Morgengrauen setzte M. den Ermittlungen zufolge die blutgetränkte Matratze und Daleys ebenso blutigen BH in Brand. Dann rief er den Notarzt. Beim Eintreffen des Rettungswagens war Daley schon nicht mehr am Leben. Die Polizei warf A. Totschlag vor und M. Mittäterschaft.
Doch die Staatsanwälte ließen die Anklage nach wenigen Monaten fallen und erklärten, sie könne den Männern nicht nachweisen, Daley vorsätzlich Schaden zugefügt zu haben. Die Hinterbliebenen standen vor einem Rätsel, denn eine Anklage wegen Totschlags erfordert in Australien nicht den Nachweis eines Vorsatzes.
Stumpfe Gewalt
Rechtsmediziner Michael Barnes stimmte schließlich zu, eigene Untersuchungen aufzunehmen, was bei ungewöhnlichen Todesfällen möglich ist. Sein Ergebnis war eindeutig: Daley starb an Blutverlust aufgrund eines Traumas im Genitaltrakt, das ihr mit stumpfer Gewalt zweifelsfrei von A. zugefügt wurde.
Barnes verwies den Fall zurück an die Staatsanwaltschaft und erklärte, es bestehe eine begründete Aussicht auf eine Verurteilung.
Doch die Staatsanwälte lehnten eine Anklage zum zweiten Mal ab und verwiesen auf fehlende Beweise. „Indigene Menschen haben keine Chance“, sagt Stiefvater Gordon Davis heute. „Nicht in diesem Rechtssystem hier.“
Zahllose Studien scheinen ihm recht zu geben. Mehr als ein Viertel aller Häftlinge in Australien sind Aborigines, Tendenz steigend. Vor allem Aborigine-Frauen sind statistisch einem weitaus größeren Risiko ausgesetzt, Opfer von Gewalt zu werden. Doch Fälle, in denen Ureinwohner die Opfer sind, kommen nach Angaben von Rechtsexperten oft gar nicht erst vor Gericht.
Druck durch Medien
Entsprechend waren die Daleys schon kurz davor, alle Hoffnung aufzugeben. Doch dann wurden die australischen Medien auf den Fall aufmerksam. Es folgten Schlagzeilen wie „SCHANDE“ und „Keine Gerechtigkeit für die tragische Norma“. Zehntausende Menschen unterzeichneten eine Online-Petition, mit der die Staatsanwaltschaft aufgefordert wurde, ihr Vorgehen zu rechtfertigen.
Angesichts des wachsenden Drucks stimmen die Ankläger schließlich zu, den Fall noch einmal zu prüfen. Im Juni erhielten die Daleys schließlich die erlösende Nachricht, auf die sie seit fünf Jahren gewartet hatten: Die beiden Verdächtigen werden strafrechtlich belangt. A. muss sich wegen Totschlags und M. wegen nachträglicher Mittäterschaft verantworten.
Beiden wird zudem schwerer sexueller Missbrauch vorgeworfen. Die Männer bekennen sich nicht schuldig. Der Prozess soll im Juli beginnen.
„Wir warten nur auf Gerechtigkeit“, sagt Gordon Davis. „Dann kann sie in Frieden ruhen.“
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