/ Die Geschichte hinter der Geschichte

(AFP/Eric Feferberg)
Unvergessen ist, wie Francois Hollande im lothringischen Florange 2007 auf das Dach eines Kleinlastwagens stieg und versprach, dass die Hochöfen in Hayange nicht geschlossen würden. Der Weltkonzerns ArcelorMittal ließ sich davon nicht beeindrucken und blies sie aus. Arbeitslos wurde von fast 600 betroffenen Stahlwerkern niemand. Der Kampf, den sich Gewerkschaften, das Unternehmen und Frankreichs Politiker lieferten, erwies sich nachträglich als sinnlos. Den Walzwerken in Florange geht es heute besser als je zuvor. In Florange aber erinnert heute ein Gedenkstein an das von Staatspräsident Francois Hollande gebrochene Versprechen.
Lothringen erwies sich auch für den Wahlkämpfer Nicolas Sarkozy zum Stolperstein. Er sicherte zu, dass das Elektrostahlwerk in Gandrange nicht geschlossen werde. Es wurde geschlossen. Die angeschlossene Walzstraße wird heutzutage im Taktverkehr mit drei Zügen am Tag aus Duisburg mit Vormaterial beliefert. In Gandrange werden hochwertige Spezialstahl Produkte mit hohem Mehrwert hergestellt.
Und nun also Whirlpool.
In einer zweistündigen Polit Fernsehsendung zur Person Macron hatte der zugesichert, nach Amiens zu fahren und sich um das Schicksal der 320 Whirlpool Mitarbeiter und der 60 betroffenen Arbeiter in Zulieferfirmen zu kümmern. Die Fabrik soll geschlossen, die Produktion nach Polen verlagert werden. Am Mittwoch traf sich Macron mit den Gewerkschaften in der Industrie- und Handelskammer in Amiens, um eine Stunde lang mit ihnen die Lage zu besprechen.
Zur selben Zeit wurde die populistische Kandidatin Marine Le Pen auf dem Parkplatz vor dem Werk von den dort streikenden Whirlpool Arbeitern bejubelt. Sie habe sich spontan entschlossen, den Arbeitern ihre Unterstützung mitzuteilen. Gute 15 Minuten lang stand sie für „Selfies“ zur Verfügung, versprach, dass mit ihr die Fabrik nicht geschlossen, sondern verstaatlicht würde, dann war sie wieder weg.
Marine Le Pen von den streikenden Arbeitern bejubelt
Erstaunlich: Unter den Jubelnden befanden sich gut 30 Mitglieder der Bewegung Front National, die „zufällig“ vor den Toren der Fabrik Croissants verteilten. Und es befanden sich auch die Kameras der Nachrichtensender dort, von denen Frankreich gleich vier aufzuweisen hat.
Nicht erstaunlich: Fernsehjournalisten recherchierten, dass der Besuch von Marine Le Pen nicht ganz so zufällig war. Sie soll am Abend zuvor vom Macron Besuch bei Whirlpool informiert worden sein und mit ihrem Stab beschlossen haben, am nächsten Morgen eine Sitzung ihres Politbüros vorzeitig zu verlassen, um nach Amiens zu fahren.
Doch kein zufälliger Besuch
Der Grund: Die Picardie ist ihre Region. Hier herrscht der Front National. Emmanuel Macron aber ist der einzige Kandidat, der immer wieder und bewusst im Lande der Marine Le Pen auftaucht, Wahlkampf macht und sie provoziert. Der Auftritt von Macron in Amiens war eine solche Provokation in ihren Augen.
Als Macron während des Gespräches mit den Gewerkschaften erfährt, dass es Fernsehbilder von einer umjubelten Marine Le Pen auf dem Parkplatz von Whirlpool gibt, entscheidet er spontan, dass er – was nicht vorgesehen war – ebenfalls zur Fabrik fahren wird. Vorher aber fährt er Mittagessen in die Stadt Amiens.
Der Kontrast konnte nicht größer sein. Dort, wo Marine Le Pen umjubelt wurde, wird Macron mit Pfiffen und Buh Rufen empfangen. Es ist die aber genau die Situation, in der der sozial liberale Kandidat zur Höchstform aufläuft. Zwei Stunden lang diskutiert er mit den Arbeitern. Er macht – anders als Marine Le Pen – keine Versprechungen sondern ist klar: Ein Verbot der Schließung wird es nicht geben. Das sei nicht möglich. Möglich seien aber Umschulungen und es sei auch für 55 Jährige durchaus möglich, noch eine neue Arbeit zu finden.
So, wie es Kameras für Marine Le Pen gab, gibt es eine für Macron. Nur seine eigene Öffentlichkeitsarbeit durfte mit auf den Parkplatz. Und die überträgt die Diskussion direkt auf Facebook. Von dort übernehmen die vier Nachrichtensender – BFMTV, cnews, LCI und France Info die Bilder. BFMTV überträgt die ganze Sequenz mit kurzen Unterbrechungen. So wird deutlich, dass Macron die Situation dreht, dass die Spannung und die Pfiffe sich in Gelächter verwandeln, dass aus der verbalen Aggression ein Frage- und Antwort Spiel und eine Diskussion entstehen. „Geben Sie mir noch die Hand?“, fragt eine Arbeiterin, die ihn attackiert hatte, am Ende. Macron verabschiedet sich mit Handschlag von ihr. Er verspricht, ohne Kameras wieder zu kommen und zu erzählen, was er getan hat.
Moralaposteln
In einem kurzen Statement danach greift er die Medien scharf an. Wenn sie so harmlos einfach eine PR Aktion des Front National Filmen und übertragen, dann sollten sie sich später nicht zu Moralaposteln aufschwingen. Am Abend, in einer Wahlversammlung in Arras, erneut Hochburg des FN, attackiert er Marine LE Pen erneut scharf. Sie weigere sich, Vorladungen der Justiz zu folgen. Sie sei behütet in einem Schloss aufgewachsen und stelle sich jetzt als Vertreterin des Volkes dar. Sie sei schließlich nur eine Erbin. Macron spielt dabei darauf an, dass der Front National von Jean Marie Le Pen, Vater der Spitzenkandidatin, gegründet wurde.
In der politischen Auseinandersetzung erweist sich der kurzfristige PR Erfolg der Rechtspopulistin möglicherweise als ein Pyrrhus Sieg. Macron hatte sich eine Ruhephase nach dem Sieg im ersten Wahlgang gegönnt, die von Marine Le Pen ausgenutzt wurde. „Sie hat ihn damit wach gerüttelt“, urteilt ein Kommunikations Experte.
Worum geht es in der Affäre?
Worum geht es in der Affäre Whirlpool? Der US Konzern hat sich den Konkurrenten Indesit einverleibt und verfügt nun in Europa über zu viele Fabriken. In Polen hat sich eine Pol für die Herstellung „weißer Ware“ (Waschmaschinen, Trockner, Geschirrspülmaschinen etc.) gebildet, in dem alle europäischen Hersteller vertreten sind und auch das entsprechende know how bei den Zulieferfirmen vorhanden ist. Whirlpool will seine Fabrik von Amiens nach Polen verlagern. In Frankreich wird dieser wirtschaftliche Hintergrund aber nicht gesehen. Vielmehr argumentieren Politiker und Gewerkschaften damit, dass dort wesentlich geringere Löhne gezahlt werden und die Verlagerung aus Gründen des Sozialdumpings erfolgt, was nicht ganz unrichtig ist.
Ein Gesetz aus der Zeit des Wirtschaftsministers Arnaud Montebourg, der den „wirtschaftlichen Patriotismus“ zum Prinzip erhob, zwingt Unternehmen, die eine Fabrik schließen wollen, einen Käufer zu suchen. Für die Whirlpool Fabrik soll es unbestätigten Meldungen zufolge ein Dutzend Interessenten geben, davon zwei oder drei ernsthafte. Ob diese Interessenten nach dem Theater auf dem Parkplatz weiter zur Verfügung stehen, ist offen.
Einer neuen Umfrage zufolge, die am Mittwoch veröffentlicht wurde, legte Emmanuel Macron bei den Wählern von 60 auf 60,5 Prozent zu. Marine Le Pen verlor 0,5 Prozent und sank von 40 auf 39,5 Prozent ab.
- Blau durch den Sonntag - 18. September 2017.
- 38-jähriger Vermisster aus Schieren ist tot - 4. August 2017.
- Polizei fasst Einbrecher und Komplizin - 3. August 2017.